Beginenfeuer
Duft nach Minze stieg zwischen ihnen auf. Man sah ihr an, dass sie gerade noch einen Schrei unterdrückte.
»Geh!« Beunruhigt von den eigenen Wünschen schickte Cornelis sie davon. »Geh und tu deine Pflicht.«
»Verzeiht«, sagte Ysée und huschte davon. Cornelis blickte ihr nach und stieß den angehaltenen Atem mit einem tiefen Seufzer aus. Die schlanke Gestalt in dem schlichten Gewand aus naturbelassener Wolle entzückte sein Auge. Eine Begine!
B RUDER S IMON
Brügge am 29. Oktober 1309
Das Wasser reflektierte im Sonnenuntergang die rotgoldene Farbenpracht der Bäume wie ein Spiegel. Nur dort, wo die Zweige einer alten Weide von der Mauer des Beginenhofes bis auf den Fluss hinunterreichten, kräuselte sich das Bild, weil immer wieder ein Windstoß zwischen die Blätter fuhr. Soweit das Auge reichte, zog sich diese Mauer den Fluss entlang. Bruder Simon hatte nicht geahnt, dass der Beginenhof vom Weingarten so groß war. Pater Felix hatte ihm gesagt, dass die Zahl der Beginen ständig stiege und inzwischen schon über tausend Frauen dort lebten. Eine wahrhaft große Gemeinde für einen einzigen Geistlichen. Kein Wunder, dass er schon den ganzen Nachmittag dort drüben war, um seinen Pflichten als Beichtvater nachzukommen.
»Pater Fe… Oh, verzeiht, Ihr seid es gar nicht. Ich suche den Priester!«
Ein Hausknecht in den grün-goldenen Farben des Hauses Cornelis knetete respektvoll seine Kappe zwischen den Fingern. Er hatte die Gestalt in der grauen Kutte, die sinnend mitten auf der Brücke zum Beginenhof stand, verwechselt. »Könnt Ihr mir sagen, wo ich Pater Felix finde?« Bruder Simon sprach zwar kein Flämisch, aber die Frage war kaum misszuverstehen. »Er ist im Beginenhof«, entgegnete er auf Französisch, in der Hoffnung, dass der Bursche diese Sprache beherrschte. »Kann ich dir helfen?«
Da Flandern seit Jahren französischen Vasallenstatus besaß und Jan in einem Handelshaus diente, in dem Gäste aus aller Herren Länder ein und aus gingen, hatte er Glück. »Seid Ihr ein geweihter Priester?«, fragte der Knecht respektvoll. »Unsere Herrin wünscht geistlichen Beistand auf ihrem letzten schweren Weg. Die Beginen sind seit Stunden bei ihr, und sie schicken um einen Diener Gottes für die Letzte Ölung.«
Bruder Simon kam der Zufall wie gerufen. Seit er im Pfarrhaus an der Beginenbrücke nach seiner anstrengenden Reise gastfreundliche Unterkunft gefunden hatte, fragte er sich, wie er seinen Auftrag erfüllen sollte. Pater Felix, dem die Pfarrgemeinde der Beginen unterstand, hatte den angeblichen Wanderprediger zwar ohne große Umstände in sein Haus gebeten, aber bisher keine Anstalten gemacht, einen Teil seiner Aufgaben auf ihn zu übertragen.
Der Mönch traf eine schnelle Entscheidung. »Wenn du mir einen Augenblick Zeit gibst, das heilige Sakrament zu holen, begleite ich dich gerne zu deiner Herrin. Ich bin geweihter Priester des Zisterzienserordens.«
»Seid bedankt«, stieß der Mann sichtlich erleichtert hervor. »Aber beeilt Euch, es steht schlecht um die gute Dame.« Wenig später eilten die beiden Männer an der lärmenden Baustelle der Liebfrauenkirche vorbei auf den großen Markt zu. Bruder Simon hatte die Kapuze seiner Kutte tief in die Stirn gezogen. Seiner Aufgabe eingedenk wollte er keinen Verdacht erwecken, versuchte aber gleichzeitig, seinen Begleiter ein wenig auszuhorchen. Dass ausgerechnet die Gattin eines reichen Tuchhändlers die Beginen um Beistand bat, kam ihm seltsam vor. Waren es nicht in erster Linie die Tuchhändler und Weber, deren Beschwerden über die Geschäftstüchtigkeit der frommen Frauen bis nach Avignon drangen?
»Die oberste Magistra des Beginenhofes ist die Tante unserer Herrin«, verriet der Mann vertrauensvoll. »Aber Meister Cornelis lehnt die frommen Frauen ab. Das liegt vermutlich auch daran, dass seine Frau den Beginen ein Grundstück gestiftet hat, das die Stadt zur Vergrößerung des Minnewaterhafens haben wollte. Der Herr hat getobt, als er von der Schenkung erfuhr. Doch er konnte nichts dagegen ausrichten, denn die Herrin hat das fromme Werk getan, um den Himmel gnädig zu stimmen, damit sie endlich den ersehnten Erben zur Welt bringt.«
Das prächtige Anwesen des Herrn Cornelis in einer Seitengasse der Wollestraat bewies, dass er trotz dieser ärgerlichen Stiftung keine Not leiden musste. Bruder Simons Blicke registrierten einen drei Stockwerke hohen Backsteinbau, ein schiefergedecktes Dach, weiße Blendarkaden und zierliches
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