Beginenfeuer
Maßwerk aus hellem Sandstein. In den Fenstern blinkte Glas, und die spitzen Giebel der Hauptfassade stiegen treppenförmig in den blauen Herbsthimmel. Kein Haus, sondern ein Handelskontor, das von umsichtiger Geschäftstüchtigkeit zeugte. »Tretet ein.«
Jan hielt Bruder Simon eine geschnitzte Pforte am Fuße eines Eckturmes auf. Es war die Tür für das Gesinde. Gäste, Kunden und Freunde stiegen über die breiten Steinstufen zum Doppelflügeltor des Haupteinganges hinauf. Von dort bot sich ihnen der beste Blick in die imponierende Eingangshalle, mit der Piet Cornelis selbstbewusst seinen Reichtum und seine Macht zur Schau stellte.
Dabei ließ der Seiteneingang gleichfalls keinen Zweifel daran, dass der Mönch ein wohlhabendes Haus betrat. Im Dämmerschein des späten Nachmittags glänzte das Holz der geschnitzten Türstöcke, und eine steinerne Wendeltreppe wand sich nach oben.
Im ersten Stock wurden sie von einer Magd abgepasst, die bei Bruder Simons Anblick ihre Stirn runzelte.
»Du solltest Pater Felix holen«, wandte sie sich an Jan. »Er war nicht da, und du hast gesagt, es eilt.« Jan zuckte mit den Schultern. »Er wird ihn ersetzen. Ist das nicht das Wichtigste?«
Katelin musterte den unbekannten Priester mit einem schnellen Blick. »Ich hab Euch noch nie gesehen, ehrwürdiger Vater. Wer seid Ihr?«
»Bruder Simon von den Zisterziensern aus Fontenay. Ich bin Gast von Pater Felix. Ich bringe deiner Herrin das heilige Sakrament und den Trost der Kirche. Willst du sie noch länger darauf warten lassen?«
Eingeschüchtert knickste Katelin und öffnete die Tür zu Frau Mareikes Kammer.
Ysée hörte das Klicken des Schlosses und senkte den Kopf tiefer über die Wasserschüssel. Erst als sie aus den Augenwinkeln den grauen Habit eines Mönches und nicht das elegante Wams des Hausherrn sah, wagte sie es, sich zu ihrer normalen Größe aufzurichten.
»Der Herr sei mit dir, meine Tochter«, begrüßte der Ordensbruder die Kranke, ohne die Beginen zu beachten. Der Priester gebrauchte das Französisch eines gebildeten Mannes aus noblem Hause. Ysée lauschte der Stimme und ihrer Melodie, ohne zu begreifen, was sie so sehr daran fesselte. Seit vielen Jahren sprach und hörte sie das raue Flämisch der Bürger von Brügge. Dass es ihre Muttersprache war, die sie da vernahm und verstand, wurde ihr erst später klar. »Seid gegrüßt, ehrwürdiger Vater.« Mareike Cornelis starrte den fremden Mönch verwirrt an. »Ihr seid nicht aus Brügge.«
»Aber ich bin ein Diener Gottes«, entgegnete der Mönch gelassen. »Du hast so dringlich nach einem Priester verlangt, dass nicht mehr die Zeit blieb, zu warten, bis Pater Felix aus dem Beichtstuhl kommt. Ich bringe dir an seiner Stelle den Trost der Sakramente.« Frau Mareike küsste dankbar das Kreuz, das er ihr hinhielt.
Einem Fremden ihre Sünden zu gestehen würde ihr vielleicht sogar leichter fallen.
»Nehmt mir die Beichte ab, Pater«, flüsterte sie tonlos. »Ich habe viel zu bereuen, ehe ich diese Welt verlasse und vor meinen Schöpfer trete.«
»Dann lass uns beten.«
Bruder Simon wandte sich um und winkte den Beginen, den Raum zu verlassen.
Ysée fiel das Tuch aus tauben Fingern in die Wasserschüssel zurück. Sie sah dem Mönch direkt in die Augen. Bruder Simon blinzelte irritiert. Frauen hatten der Sitte gemäß den Blick zu senken. Aber im strengen Rahmen der Tuchfalten leuchteten ihm die Augen der Begine wie grüne Lichter entgegen. Sie schien jung zu sein, kaum zwanzig. Immerhin alt genug, um zu wissen, wie sich eine fromme Jungfer verhalten sollte. Ihre Begleiterin war ihr doch ein perfektes Beispiel. »Gott sei mit euch«, sagte er betont.
»Und mit Euch, Vater.« Alaina neigte hoheitsvoll den Kopf mit der Haube, ehe sie zur Tür ging.
Ysée zögerte, ihr zu folgen. Der Mönch hatte sich der Fiebernden im Alkoven zugewandt. Seine Stimme verlieh mit den ersten Worten des Paternosters bewegenden Trost. Sie hätte ihr gerne länger gelauscht, aber Alaina zupfte an ihrem Gewand, sodass sie die Tür schließen musste. Als sie sich umwandte, kniete die zweite Meisterin bereits auf den kalten Steinquadraten des Ganges und betete.
Ysée fragte sich, wen sie mit so viel Frömmigkeit beeindrucken wollte? Keiner konnte sie sehen. Dennoch folgte sie ihrem Beispiel und fiel in die gemurmelte Litanei ein. Allen guten Vorsätzen zum Trotz schlugen ihre Gedanken jedoch nach kurzer Zeit andere Pfade ein.
Was konnte eine wohlhabende Bürgerin wie Mareike Cornelis
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