Beginenfeuer
deine Art ebenso Buße wie Simon. Aber er hat im Schoße der Kirche Aufnahme gefunden, während du vergeblich nach einer Heimat suchst.« Mathieu schwieg. Seine einzige Reaktion war, das Messer so heftig durch Braten und Brot zu stoßen, dass es im Holz des Essbrettes stecken blieb.
Y SÉE
Brügge am 29. Oktober 1309
»Die Beginen sind in meinem Haus? Seid ihr noch bei Trost? Wer hat sie gerufen?«
Meister Cornelis, Handelsherr und Schöffe der Stadt Brügge, betrachtete grimmig die Magd seiner Gemahlin. Katelin wäre am liebsten in eine Ritze zwischen die polierten Steinplatten der Eingangshalle geschlüpft, um diesem Blick zu entkommen. Alles an Piet Cornelis wirkte zu groß, obwohl er die Dienerin kaum um eine Handbreit überragte. Kopf, Leib, Hände, Füße schienen, jedes für sich, für einen stattlicheren Mann gedacht zu sein, sodass seine Gegenwart allein durch die Masse seiner Person einschüchterte. Er betrachtete die Welt aus wasserhellen Augen, mit einem Misstrauen, das von den Menschen nur das Schlechteste erwartete.
Schon am Morgen des Tages hatte er sich in die Waterhalle begeben, die an der Ostseite des großen Marktes am Ufer der Reie stand. Dort legten die Kanalboote und Galeeren an. Die Kapitäne manövrierten diese Schiffe bis in das Herz der Stadt, denn ihre Frachten waren keine so alltäglichen Dinge wie Rohwolle, Weinfässer, Wachs oder Getreide, sondern begehrte und seltene Luxusgüter aus fernen Ländern.
In der Waterhalle wurden Gewürze, Pelze, Seidenstoffe und allerlei Zierrat aus Gold und Silber entladen und unter strengster Bewachung in den Handel gebracht. Jetzt, so kurz vor Winterbeginn und ehe die großen Stürme auf dem Meer einsetzten, kamen nicht mehr viele Schiffe bis nach Brügge, weshalb es galt, den Warenvorrat für die nächsten Monate sorgsam zu kalkulieren. Cornelis hatte seine Geschäfte zufrieden stellend getätigt, aber seine Heimkehr erinnerte ihn auf demütigende Weise daran, dass es keineswegs um alle seine Pläne so gut bestellt war.
Das Haus Cornelis war wohlhabend und einflussreich, aber es hatte keinen Erben! Die jüngste Fehlgeburt seiner Gemahlin hatte alle seine Hoffnungen zunichte gemacht. Aber dass dieses Unglück auch die Gesundheit von Frau Mareike ernsthaft in Gefahr gebracht hatte, wollte der Handelsherr nicht wahrhaben.
»Nun?«, mahnte er die Magd gereizt.
Katelin zupfte an ihrer Schürze herum und hielt die Augen hartnäckig gesenkt. »Die Herrin hat befohlen, die Beginen zu rufen. Die Wehfrau und der Medicus sagten, wir sollen ihr den Gefallen tun. Der Trost der frommen Frauen würde ihr den Weg leichter machen.«
Die Pflege der Sterbenden und die anschließende Totenwache zählten zu den wichtigsten Pflichten der Beginen von Brügge. War es wahrhaftig so weit mit Mareike? »Was können die Klageweiber vom Weingarten schon für sie tun?«
»Für sie beten, Herr. Wollt Ihr nicht hinaufgehen? Sie wartet, sie hat nach Euch gefragt.«
Zuschauen, wie Mareike starb? Nur das nicht. Piet Cornelis stapfte wortlos davon, um sich hinter seinen Rechnungsbüchern zu verschanzen. Er schämte sich für seine Feigheit und verbarg es hinter noch barscherem Ton als üblich, als er sich an der Tür zum Warenkontor noch einmal umwandte. »Sag ihr, ich komme, wenn ich meine Arbeit getan habe. Ich bin keine Betschwester, die ihre Zeit mit Jammern vertun kann.«
»Katelin? Würdet Ihr bitte zum Pfarrhaus an der Beginenbrücke schicken? Frau Mareike wünscht die Beichte abzulegen, und sie will es nur bei Pater Felix tun.«
Ysées Stimme wehte hell und sanft von der Treppe herab, und Meister Cornelis trat verwirrt in die Halle zurück. Er sah eine Jungfer mit weißem Kopftuch und grauer Schürze auf halber Höhe. Sie hatte die Rechte auf das Geländer gelegt und den Kopf in einer Weise leicht zur Seite geneigt, die ihn jäh beunruhigte. Der rötliche Schein des letzten Tageslichtes fiel durch die bleigefassten Rauten der Glasfenster hinter ihr und malte leuchtende Konturen um die schmale Gestalt. Magisch von ihr angezogen kam er zurück, bis sein Fuß gegen die erste Stufe stieß.
Das straff gezogene Tuch umrahmte ein ovales Gesicht, dessen reine Züge keinen Makel aufwiesen. Ein zutiefst vertrautes Antlitz, das den Kaufmann so schmerzlich berührte, dass er unwillkürlich die rechte Hand auf das Samtwams über seinem Herzen presste. Er hatte das Gefühl, es musste im nächsten Augenblick zerspringen. Träumte er? Erblickte er ein Gespenst?
Weitere Kostenlose Bücher