Beginenfeuer
an schlimmen Sünden auf ihr Haupt geladen haben? Geiz? Neid? Notlügen? Welche Fehltritte beging man, wenn man alles hatte? Die des Hochmuts, der Eitelkeit? Des falschen Zeugnisses?
Bruder Simon hatte sich Ähnliches gefragt, und nun betrachtete er die Frau auf den Kissen, als traue er weder seinen Augen noch seinen Ohren. Die Verfehlung, die ihm die Sterbende in stockenden Sätzen gestand, hatte nichts mit den üblichen Weibersünden zu tun. Sie waren so ungeheuerlich, dass er sie in seine eigenen Worte fassen musste, um ihr volles Ausmaß zu begreifen.
»Du hast deinen Gemahl um sein Enkelkind betrogen? Warum, bei allen Heiligen?«
»Weil ich zu dieser Zeit ein eigenes Kind erwartet habe, ehrwürdiger Vater. Ich hoffte auf einen Sohn. Er sollte das Haus Cornelis erben, und niemand durfte ihm dabei im Wege stehen.«
»Aber wie hast du die Magd dazu gebracht, diesen ungeheuerlichen Betrug zu dulden? Sie sollte ihm das Mädchen anvertrauen. Weshalb hat sie sich nicht gleich an deinen Gemahl gewandt?«
»Piet war zu dieser Zeit auf Reisen. Ich führte in seiner Abwesenheit das Haus«, flüsterte Mareike Cornelis stockend. »Anfangs verstand ich das Französisch der Frau kaum. Erst nach langem Hin und Her wurde mir klar, dass das Kind, von dem sie ständig sprach, Piets Enkeltochter aus dem Burgundischen sein musste. Margarete hatte sie unter der Obhut dieser Magd nach Brügge gesandt.«
»Wie konntest du dem unschuldigen Kind in die Augen schauen und es fortschicken?«
»Ich hab es gar nicht zu Gesicht bekommen, ehrwürdiger Vater. Die Frau hatte es der Wirtin einer Schänke anvertraut, ehe sie zu mir kam. Sie sagte, das Mädchen sei nach all dem Schrecklichen nicht mehr ganz richtig im Kopf. Es habe Angst vor fremden Menschen und spreche kaum ein Wort. Was sollte mein Gemahl mit einem solchen Geschöpf anfangen? Die Kleine hätte nur seinen Kummer um die verlorene Tochter verstärkt. Auch hätte sie meinem Kinde den Rang streitig gemacht.«
»Deswegen hast du eine solch gottlose Entscheidung getroffen?«
»Sie ist nicht so eigensüchtig, wie Ihr denkt, Pater. Meine Tante war damals gerade zur Magistra der Beginen vom Weingarten gewählt worden, und so schlug ich der Magd ein Geschäft vor. Ich würde ihr einen Platz bei den Beginen verschaffen, wenn sie dafür das Mädchen mit sich nahm und es als ihre eigene Tochter ausgab. Das war schließlich mehr als genug Belohnung für eine einfache Frau, die kaum das Flämische sprach und davon träumte, wieder irgendwo zu Hause zu sein.«
»Sie hat sich darauf eingelassen?« Bruder Simon schüttelte fassungslos den Kopf. Wieso überraschte es ihn, dass eine Frau so selbstsüchtig sein konnte?
»Natürlich!«, erwiderte die Kranke nach einer Spanne des Schweigens. »Es brachte für alle nur Vorteile.«
»Wie hast du die Magistra für dieses schlimme Spiel gewinnen können?«
»Sie hat nie erfahren, dass das Mädchen in Wirklichkeit nicht die Tochter der Magd ist. Ich habe ihr irgendeine Geschichte erzählt. Sie hat erst Verdacht geschöpft, als das Kind heranwuchs. Es ist seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.« Mareike richtete sich erregt auf und packte die Hand des Priesters. »Sie ist hier, ehrwürdiger Vater!«
»Beruhige dich, meine Tochter. Wer ist hier?«
»Die junge Begine im grauen Kleid ist die Enkelin meines Gemahls, Pater. Sie heißt nicht Ysée, sie heißt Violante von Courtenay. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter Margarete verrät sie. Mein Gemahl starrt sie ein jedes Mal an, als sähe er die Wiedergeburt eines Wunders vor sich.«
»Heiliger Vater, erbarme dich«, murmelte Bruder Simon erschüttert und bekreuzigte sich. Die Kranke zog ihn noch näher, denn ihre Stimme wurde zunehmend schwächer. »Die Magistra hat sie absichtlich in dieses Haus geschickt. Sie will, dass ich meinen Frieden mit dem Herrgott mache.«
»Du musst unseren Gott und Herrn wahrhaftig und aus vollem Herzen um Vergebung bitten für das Leid, das du diesen Menschen angetan hast«, erwiderte Bruder Simon und versuchte sich aus ihrer fieberhaften Umklammerung zu befreien. »Ich habe niemandem geschadet«, verteidigte Mareike ihre unglaubliche Entscheidung sogar noch auf dem Sterbebett. »Bei den Beginen hat das Kind Frömmigkeit, Gehorsam und Demut gelernt. Ich habe dem Mädchen ein Schicksal wie das meine erspart.«
»Wer gibt dir das Recht, über fremde Schicksale zu entscheiden? Du hast schwere Schuld auf dich geladen.«
»Ich weiß.« Frau Mareike sank hilflos
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