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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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Priesters verband, machte ihn noch verletzender. Sie konnte nicht ahnen, wie schwer es ihn traf, ausgerechnet bei ihr Beweise dafür zu finden, dass im Weingarten tatsächlich ketzerische Thesen gelehrt wurden. Er hatte sie vor der Welt schützen wollen, nun stellte er fest, dass er sie vor sich selbst schützen musste. »Das Buch. Wo ist es?«
    Ysée starrte ihn in stummem Aufruhr an. Sie grub einmal mehr die Zähne in die Unterlippe und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Bild des Trotzes. Auch ein Bild des Feuers, denn ihre grünen Augen sprühten vor Empörung, und helle Röte färbte Lippen und Wangen. Keine Begine, sondern eine Kriegerin, die ihr Erbe als Tochter eines Ritters weniger denn je verleugnen konnte.
    »Es hat keinen Sinn, zu schweigen. Sei vernünftig und nimm meine Hilfe an.« Sein Appell bewirkte nichts. Er las es in ihren Augen. »Du gefährdest deine Schwestern mit dieser Verstocktheit. Ja, du bringst den ganzen Beginenhof in Verruf. Das kann nicht deine Absicht sein.«
    »Ihr tut das. Ich nicht.«
    Er hatte Mühe, seinen Zorn zu beherrschen. Da war sie wieder, diese Bestimmtheit des weiblichen Geschlechtes, die sich hinter Schwäche und Schutzbedürftigkeit verbarg. Welche Mittel besaß er, Ysée zur Vernunft zu bringen? »Dein Eigensinn lässt mir keine Wahl. Ich muss dich anzeigen, wenn du die Schrift behältst.« Es schmerzte ihn, sie mit solchen Worten zu bedrängen, doch er sah keinen anderen Ausweg. »Tut Eure Pflicht. Ich vermag Euch nicht daran zu hindern.« Ysée wandte sich ab, ehe er auf ihrem Antlitz einen Abglanz ihrer Gedanken erkennen konnte. Sie griff nach ihrem Eimer und schritt zum Brunnen. Sie schaute sich kein einziges Mal nach ihm um.
    Simon sah ihr nach. Was bewegte sie? Woher nahm sie diesen Mut, diese Kraft? Beinahe beneidete er sie. Was sollte er tun? Das Herz wurde ihm kalt. Ysée hatte alle Wärme mit sich genommen.

S ECHSTES K APITEL
    Ungewissheit
     
     
     
    Ysée
    Brügge, Beginenhof vom Weingarten, 18. November 1309
     
    »Wo bist du gewesen?« Das bescheidene Zuhause neben den Lagerschuppen wirkte noch kleiner als sonst, weil Schwester Alaina mitten im Raum stand. Sie hatte es abgelehnt, Platz zu nehmen, vermutlich, weil sie fürchtete, ihr Gewand durch die Berührung mit der Bank zu beschmutzen. Sie warf kritische Blicke in die Runde und verströmte so viel stumme Missbilligung, dass Ysée am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht hätte. Sie musste sich zwingen, vollends einzutreten und die Tür hinter sich zu schließen, während die zweite Meisterin ihre Frage abschoss wie einen Kriegspfeil. Achtsam stellte Ysée den Eimer mit dem frischen Brunnenwasser neben der Feuerstelle ab. Welch ein Glück, dass sie ihn noch gefüllt hatte, statt gleich nach Hause zu laufen, wie es ihr die erste Empörung eingegeben hatte. Ohne das Gewicht des Eimers zitterten ihre Hände. Sie verbarg sie schnell in den Falten ihres Kleides. Was wollte Schwester Alaina von ihnen? Es kam selten vor, dass sie den Fuß in diesen Bezirk des Beginenhofes setzte. Schwester Alaina unterbrach ihre besorgten Vermutungen.
    »Warum antwortest du nicht? Wo hast du dich herumgetrieben?«
    »Am Brunnen. Ich habe Wasser geholt, Schwester.«
    »Und dabei Zeit vertan.«
    Ysée senkte den Kopf und schwieg. Aus den Augenwinkeln sah sie zu ihrer Ziehmutter hinüber. Berthe hockte auf dem Sitz neben dem Feuer und hielt die Garnspindel mit dem Faden, den Ysée am Abend zuvor begonnen hatte. Sie beherrschte vollendet die Kunst, sich den Anschein von Geschäftigkeit zu geben. Von dieser Seite war keine Hilfe zu erwarten. Berthes Respekt vor Schwester Alaina unterschied sich kaum von rechtschaffener Furcht.
    Dabei hätte Ysée dringend Unterstützung benötigt. Nach dem Gespräch mit Pater Simon wusste sie nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. War der Spiegel der einfachen Seelen tatsächlich eine verbotene Schrift? Hatte ihr die Magistra das Buch anvertraut, weil sie nicht wollte, dass es nach ihrem Tode in falsche Hände geriet? Warum hatte sie sich verleiten lassen, ihren verbotenen Schatz preiszugeben? Weil sie Simon beeindrucken wollte? Heilige Mutter Maria, wie hatte sie nur so dumm sein können? Sie hatte den Beginenhof in größte Gefahr gebracht!
    »Bist du Pater Simon begegnet?«
    Ysées Kopf fuhr wieder hoch. Tiefe Röte überflutete ihre Wangen und verriet, was sie eigentlich verschweigen wollte. Konnte Alaina in ihren Gedanken lesen?
    Schwester Alaina sah ihr an, dass ihre Vermutung stimmte.

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