Beginenfeuer
Ysée war zu leicht zu beeindrucken. Zu jung, zu ahnungslos, vielleicht sogar zu leichtfertig. »Du bist ihm begegnet. Was wollte er von dir?«
»Ich weiß es nicht.«
»Er stellt dir sicher Fragen. Welche?«
Alaina suchte in Ysées Zügen nach Hinweisen. Das Mädchen war vernarrt in den Priester, keine Frage, aber was trieb den Mönch, ihre Gesellschaft zu suchen? Männliche Schwäche? Ysée war anmutig genug, einen Heiligen in Versuchung zu führen, dennoch konnte es nicht allein ihre Anziehungskraft sein, die Pater Simon zu so ungewöhnlichem Verhalten trieb. »Bruder Simon wollte wissen, ob es mir gefällt, die Arbeit einer Begine zu tun, und wie es dazu gekommen ist, dass ich im Weingarten lebe.« Es war eine kleine Lüge, dennoch erwartete Ysée jeden Augenblick, mit einem Blitz vom Himmel gestraft zu werden.
»Was hast du geantwortet?«
»Dass ich es nicht sagen kann, weil ich es nicht weiß.«
»Du weißt es nicht?« Alaina schüttelte den Kopf und wandte sich schroff an Berthe. »Heißt das, dass du noch nie mit deiner Tochter darüber gesprochen hast, was dich bewogen hat, bei den Beginen zu leben? Woher hattest du das Geld, dich im Weingarten einzurichten?«
Ysées Ziehmutter ließ vor Schreck die Spindel fallen und begann zu stottern. »Je nun… ehrwürdige Mutter…«
»Das bin ich noch nicht.« Alaina fiel ihr knapp ins Wort. »Es muss einen Grund dafür geben, dass Pater Simon deiner Tochter diese Fragen stellt. Nun?«
Berthe wand sich unter der Aufforderung und gab stammelnd die Geschichte zum Besten, die Mareike Cornelis vor zehn Jahren für sie erdacht hatte.
Sie hatte geschworen, das Geheimnis für immer zu wahren und das Kind als ihr eigenes auszugeben. Ein Leben ohne Sorgen führen zu können, sogar wenn das Mädchen sterben sollte, hatte sie ihr dafür versprochen.
Bis heute hatte Berthe diesen Schwur gehalten, und sie würde es auch weiterhin tun, denn nie war es ihr so wohl ergangen wie im Weingarten.
»Methildis von Ennen hat mich und meine Tochter vor zehn Jahren aus christlicher Barmherzigkeit im Weingarten aufgenommen«, behauptete sie deswegen theatralisch und rang die Hände. »Nie werde ich aufhören, der ehrwürdigen Mutter dafür zu danken.«
Schwester Alaina verzog das Gesicht. »Die Bücher geben an, dass für eure Versorgung Maßnahmen getroffen wurden. Von wem?«
»Von der Maestra vielleicht?«
Berthe war nicht sonderlich klug, aber sie war schlau genug, mit einer Rückfrage zu antworten. Alaina starrte sie erbittert an, und beide achteten sie nicht auf Ysée, die dem Verhör mit angehaltenem Atem lauschte.
»Wohl eher vom Vater deiner Tochter?«, vermutete Alaina. »Wer ist er?«
Wie alle im Weingarten nahm sie an, dass Ysée das Bastardkind eines Mannes von Stand sein musste. Es genügte, das Mädchen anzusehen, um zu erkennen, dass es nach seinem Vater kam und nicht nach der Mutter. Vermutlich hatte er Mutter und Tochter zu den Beginen abgeschoben, um einen Skandal zu vertuschen. Alaina witterte nicht nur Unrecht, sondern auch ein Geheimnis, denn Methildis van Ennen hatte ihre Fragen nach dem Mädchen schon vor Jahren nicht beantworten wollen.
Berthe bückte sich nach der Spindel, um den unnachgiebig fragenden Augen Alainas zu entkommen. Schnaufend kam sie wieder hoch und sagte dieses Mal die reine Wahrheit. »Ysées Vater ist tot. Er soll in Frieden ruhen. Dass er schlecht an mir und seinem Kind gehandelt hat, habe ich ihm verziehen. Es ist gut, wie es ist.«
Ysée hätte am liebsten lautstark widersprochen. Warum sollte es gut sein, dass sie für immer mit dem Makel des Bastardkindes leben musste? Wie konnte sie je die Achtung anderer Menschen gewinnen, wenn sie für alle nur die Verkörperung von Sünde war? Ein ungewolltes, ungeliebtes Kind, das besser nie geboren worden wäre? Alaina gab sich nicht mit dieser oberflächlichen Auskunft zufrieden. »Weshalb widmet der Zisterziensermönch deiner Tochter dann so viel Beachtung? Was steckt hinter seiner Wissbegier?«
»Weiß ich’s?« Berthe schwankte zwischen Gehorsam und Bangen. Es beunruhigte sie, dass mit einem Male wieder über die Vergangenheit gesprochen wurde.
Alaina entdeckte den störrischen Zug um ihren Mund und wusste, dass sie die Antwort auf ihre Fragen woanders suchen musste. Sie nahm Ysée ins Visier, die inzwischen das Brunnenwasser in Tonkrüge goss, die es kühl hielten, bis sie den Rest in einen Eisenkessel schüttete und am Dreifuß über dem Feuer befestigte. Sogar diese einfachen
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