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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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Verrichtungen tat sie auf eine Weise, die es erfreulich machte, ihr dabei zuzusehen. Eine Verlockung, der auch ein Mönch nicht widerstehen konnte? »Suchst du etwa absichtlich die Aufmerksamkeit des Paters zu erregen?«
    Alainas ausgestreckter, anklagender Zeigefinger schoss so jäh auf Ysée zu, dass sie zusammenzuckte und sich am Herdstein verbrannte.
    »Du hast ein schlechtes Gewissen!«
    Ja, sie hatte ein schlechtes Gewissen, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Wie sollte sie der Schwester das unentwirrbare Chaos ihrer Ängste und Hoffnungen erklären? Die Gefühle, die Pater Simon in ihr hervorrief? Die Furcht, die nach dem Streit an der Mauer wie ein düsterer Schatten auf ihrem Gemüt lag?
    »Ich weiß nicht, was Ihr mir vorwerft«, sagte sie mit einer Spur von trotziger Verzweiflung. Dann machte sie sich daran, die Rüben zu schaben, die bereit sein mussten, wenn das Wasser im Kessel kochte.
    Alaina verschränkte die Arme über dem Kreuz vor ihrer Brust und ließ Ysée nicht aus den Augen. Sie spürte, dass sie ihr etwas verschwieg. In den vergangenen Tagen hatte sie ihre Schülerin sehr gut kennen gelernt. Sie wusste, dass hinter der stillen, scheuen Fassade des Mädchens ein mühsam gebändigtes Temperament loderte. Ysée neigte zum Widerspruch, zur Rebellion, auch wenn sie nach außen hin Gehorsam demonstrierte. Ihr wahrer Charakter stand einem Leben als gehorsame Begine im Wege. Wenn sie jemals das Gelöbnis des Weingartens ablegen wollte, musste sie zuvor Demut und Geduld lernen. »Du sagst mir jetzt, worüber du mit dem Priester gesprochen hast«, befahl sie, ohne die Stimme sonderlich zu heben. »Keine Ausreden, keine Lügen.«
    Ysée schaute von ihrer Arbeit hoch und begegnete Schwester Alainas forschendem Blick. Ein Blick, der tief in ihre Seele drang und sie dazu zwang, die Folgen ihrer Tat zu bedenken. Es hatte keinen Sinn. Sie musste es sagen. Schon um ihre Schwestern zu schützen. Wäre es um sie allein gegangen, sie hätte geschwiegen.
    Gesichter tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Schwester Luiza, die sich auf ihren Arm stützte. Schwester Griet, die Apothekerin, die so viel über Krankheiten und die Geheimnisse der Kräuter wusste. Schwester Marie, der wie einer Heiligen nie ein böses Wort über die Lippen kam. Die Maestra und all die vielen anderen. Sie hatte geglaubt, allein zu sein, aber mit einem Male kam ihr zu Bewusstsein, dass sie Teil dieser Gemeinschaft war.
    Eine halb fertige Rübe rutschte ihr aus den tauben Fingern, kollerte über den Tisch und polterte zu Boden. Niemand bückte sich danach.
    »Sprich!«, drängte Alaina noch einmal.
    »Ich habe ihm von dem Buch erzählt, das mir die Magistra geschenkt hat.« Ysée erkannte ihre eigene tonlose Stimme kaum wieder.
    »Von welchem Buch?«
    Ysée stand auf und ging zu ihrem Bett, das während des Tages unter einer grob gewebten Wolldecke verschwand und Berthe dazu diente, alles abzulegen, was sie nicht aufräumen wollte.
    Sie bückte sich steif, nahm das Bündel unter dem Strohsack hervor und brachte es zum Tisch. Stumm legte sie ihren Schatz vor Schwester Alaina auf die Platte und sank mit zitternden Knien auf einen Hocker.
    Sie sah, dass auch Alainas sonst so ruhige Hände bebten, als sie die Stoffschichten um das Buch löste, bis es für alle sichtbar im flackernden Licht der Talgkerzen vor ihnen lag. »Allmächtiger!« Alaina wich entsetzt zurück. »Der Spiegel der Seelen. Dir hat sie ihn also geschenkt. Wie konnte sie das tun? Du stürzt uns ins Unglück, Mädchen, und du hättest es zu keinem schlimmeren Zeitpunkt tun können. Was hat der Priester gesagt?«
    »Er wollte das Buch, um es dem Bischof von Cambrai zu bringen.«
    »Gütiger Himmel!«
    Schwester Alaina strich sich mit einer fahrigen Bewegung über die Stirn, ehe sie sich einen erkennbaren Ruck gab und die Schultern straffte. Nur die Tatsache, dass die strengen Linien ihres Gesichtes noch tiefer geworden waren und zwei hektische rote Flecken auf ihren Wangen brannten, verriet, wie sehr sie die unerwartete Entdeckung aufwühlte. Sie hüllte eilig die gefährliche Schrift wieder in das Leinen und presste das fertige Paket zwischen den Fingern, als könne sie es mit der puren Macht ihres Willens zum Verschwinden bringen. »Bete, dass es noch nicht zu spät ist, deine Dummheit ungeschehen zu machen«, zürnte sie Ysée. »Niemals hätte eine Menschenseele außerhalb des Weingartens erfahren dürfen, dass wir dieses Buch besitzen.«
    Sie verließ grußlos, mit fliegenden

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