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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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Röcken und raschelnder Haube das Haus. Ysées einzigen persönlichen Besitz nahm sie mit.
    Das Schweigen, das dem Zufallen der Tür folgte, war so tief, dass Berthe und Ysée erschrocken herumfuhren, als das Wasser im Kessel über dem Feuer zu sieden begann.
    »Was hast du getan?« Berthe fand als Erste die Sprache wieder.
    »Ich wusste, dass du mich eines Tages ins Unglück stürzen würdest.«
    Ysée schlug die Hände vor das Gesicht und versuchte sich zu fassen. Sie hatte Berthes Vorwürfe erwartet. Ihre Gedanken kreisten so ausschließlich um das eigene Wohlergehen, dass eine Gefahr für sich selbst sie in blinde Panik stürzte.
    »Man wird uns auf die Straße setzen. Wir werden betteln gehen müssen und am Ende verhungern…«
    Alles hätte wie jeden Abend sein können. Wäre da nicht in Ysées Brust dieses beklemmende Gefühl von Unheil gewesen und die Angst, was aus dem, was sie getan hatte, entstehen würde.
     
     
     
    M ATHIEU VON A NDRIEU
    Brügge, Gasthaus zum Alten Anker, 18. November 1309
     
    »Nie und nimmer wird dich ein Mensch von Verstand für einen gewöhnlichen Knecht halten.«
    Jean Vernier warf seinem Begleiter einen kritischen Blick zu und zögerte vor der Tür der Schänke, die er als beliebten Treffpunkt von Fuhrknechten, Hafenarbeitern und Handwerkern kennen gelernt hatte. »Weshalb die Maskerade?«
    »Das weißt du genau. In Gegenwart des königlichen Gesandten macht keiner den Mund auf. Bei einem Pferdeknecht nehmen sie es nicht so genau, selbst wenn es einer von den verhassten Franzosen ist.« Mathieu strich das speckige Lederwams über den nachlässig gebundenen Hosen glatt, die er sich für diesen Ausflug zusammen mit einer formlosen Kopfbedeckung besorgt hatte, die einmal eine Art von Kapuze gewesen sein musste. Sein Waffenmeister knurrte ungehalten. Das Kostüm war nicht das Problem, sondern der Stolz, mit dem sein Begleiter den Kopf hoch trug und den anderen offen ins Gesicht sah. »Zieh wenigstens den Kopf ein und mach einen krummen Rücken, Jungchen. Der Mann, den du spielen willst, hat das Buckeln zusammen mit dem Maulhalten gelernt.«
    »Traust du mir nicht zu, dass ich beides kann?« Andrieu schmunzelte. »Man merkt, dass du noch nie Seiner Majestät oder le terrible gegenübergestanden bist. Beide sind hervorragende Lehrmeister in Sachen Bescheidenheit und Maulhalten, wie du es so treffend ausdrückst.«
    Der Lärm unter der niedrigen Balkendecke des Wirtshauses zum Alten Anker umfing die beiden Männer zusammen mit einer Dunstwolke, die Mathieu lieber nicht genau definieren wollte. Schweiß und Pferdegestank, Essensdüfte und vergossenes Bier waren noch die harmlosesten Gerüche. Er überließ es seinem Begleiter, sich durch die Menge zu drängen und Platz für sie auf einer der langen Bänke zu finden, wo Männer saßen, denen man die schwere Arbeit und die Ärmlichkeit ihres Daseins von den wettergegerbten Gesichtern ablesen konnte. »Franzosen, was?« Ein bulliger Flame entlarvte die neuen Gäste nach wenigen Worten und pöbelte sie streitsüchtig in ihrer eigenen Sprache an. »Was zur Hölle treibt euch Pack nach Brügge?«
    »Das musst du unseren Herrn fragen.«
    Mathieu schenkte dem Mann ein breites, einfältiges Grinsen, das jede Kränkung entkräftete. Er winkte der Magd, drei volle Krüge zu bringen, und Jean Vernier hatte Mühe, seine Verblüffung zu meistern. Er hatte die Schauspielkünste seines jungen Herrn sträflich unterschätzt. »Verfluchte Leliaerts.«
    Das beliebte Schimpfwort für alle königstreuen Franzosen wurde von einem gezielten Strahl Spucke begleitet, der haarscharf neben Mathieus Schuhspitzen zwischen zwei Holzplanken versickerte. Mathieu zuckte mit keiner Wimper. Er kratzte sich bedächtig unter der Kappe und schmückte seine Rolle in breitem, burgundisch gefärbtem Französisch aus. »Ich bin kein Beamter des Königs. Mein Herr macht Geschäfte mit dem Herrn Cornelis. Er ist Kaufmann. Unsere Heimatstadt ist Dole im Burgund.«
    »Da hat er sich ja den richtigen Fuchs ausgesucht.« Aus dem Mund des Flamen klang es anerkennend und sicherte den beiden Franzosen endlich eine Art brummiger Duldung unter den Männern am Tisch. »Der Handelsherr weiß, wie er’s anfangen muss, Mist in Gold zu verwandeln.«
    »Schon, schon, aber was nützt es ihm?« Mathieu ersetzte das arglose Grinsen durch die Miene eines traurigen Kettenhundes. »Die Frau ist ihm mitsamt dem Erben weggestorben. Gottes Gerechtigkeit fällt auf die Reichen wie die Armen, mein

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