Beginenfeuer
dass er sie schon wieder berührte. Sie bebte unter seinem Griff. Ebenmaß und Liebreiz vereinten sich in ihr zu gefährlicher Betörung. Aus ihren Kleidern stieg ein vager Duft von Lavendel und verwirrender Weiblichkeit, der dazu führte, dass er sie so plötzlich wieder freigab, dass sie taumelte. Bei allen Heiligen, was bewirkte sie in ihm? Warum führte sie ihn in solche Versuchung? »Es ist die Pflicht der Kirche, jegliche Ketzerei hinwegzufegen«, rief er atemlos. Er war so sehr darauf bedacht, die eigene Irritation zu verdrängen, dass ihm nicht auffiel, wie er Ysée in seinem Furor verstörte. »Dieses Machwerk ist Teufelszeug. Satan selbst versucht die unschuldigen Seelen mit solchen Bosheiten den himmlischen Heerscharen abspenstig zu machen.«
Ysée wich vor ihm zurück. Zu spät entsann sie sich der Warnung der Magistra, das Buch nur im Geheimen zu lesen und seinen Besitz zu verschweigen. Wie hatte sie nur so dumm sein können, ausgerechnet ihm davon zu erzählen? Weil sie glaubte, dass er ihr nie wehtun würde. Wie konnte sie sich nur so täuschen.
»Aber wenn Ihr sagt, Gott ist die Liebe, dann seid Ihr doch derselben Ansicht wie Schwester Marguerite«, insistierte sie dennoch.
Glaubte sie ihn überzeugen zu können? Ungläubiges Staunen vermischte sich mit Abscheu auf seinen Zügen. »Der Himmel bewahre mich davor, die Ansichten einer Ketzerin zu teilen.«
»Wie kann man einen Menschen dafür tadeln, dass er an die Liebe Gottes glaubt?« Ysée wusste nicht, woher sie den Mut nahm, Marguerite Porète zu verteidigen. Sie fühlte nur, dass sie es tun musste, sogar wenn sie Bruder Simon damit verärgerte. Sie war eine Begine, auch wenn ihr der letzte Schwur noch fehlte. Es gehörte sich, für eine Schwester zu kämpfen. »Es ist Hochmut und Sünde, wenn sich Frauen mit theologischem Schrifttum beschäftigen und sich gar befähigt glauben, Erklärungen niederzuschreiben.«
»Das ist nicht wahr.« Ysée hatte den Erklärungen der Magistra aufmerksam gelauscht. »Es hat schon immer fromme Frauen gegeben, die an ihren Visionen festgehalten haben. Denkt nur an die Äbtissin von Bingen. Sogar die Kirchenväter haben ihre Gelehrsamkeit bewundert und ihre Schriften gelesen. Niemand nahm Anstoß daran, dass sie sich mit den Fragen des Glaubens ebenso befasste wie mit jenen der Medizin und den Gegebenheiten der Natur. Sie hat nicht nur eines, sondern viele Bücher verfasst.«
Woher nahm Ysée dieses Wissen? Woher nahm sie diesen Kampfgeist? Wer hatte sich die Mühe gemacht, ihr solche Kenntnisse nahe zu bringen? Und wozu? Die Abscheu in Simon wich der Angst um sie.
»Du verwechselst Häresie mit wahrem Glauben«, rügte er sie. »Es ist unsere Pflicht, den wahren Glauben zu verbreiten und die heilige Mutter Kirche vor Ketzerei und Häresie zu schützen. Ein jegliches Exemplar des Spiegels muss vernichtet werden. Wo ist das Buch, das in deine Hände gefallen ist?« Ysée überging die Frage. »Ist es nicht auch das Ziel Eurer klösterlichen Bruderschaft, Gott zu dienen, um seiner Liebe und Gnade teilhaftig zu werden? Strebt Ihr nicht wie Marguerite und wir Schwestern nach der himmlischen Seligkeit?«
»Wage es nicht, diese Ketzerin und meine Brüder in einem Atemzug zu nennen!«
Simon beherrschte sich mit äußerster Mühe. Begriff dieses Mädchen eigentlich, welches Verhängnis über ihrem Haupt schwebte?
»Du musst mir diese Schrift überlassen, sonst bin ich gezwungen, die Tatsache, dass du sie besitzt, bei Seiner Eminenz dem Bischof von Cambrai zur Anzeige zu bringen. Du weißt, dass dir in einem solchen Fall die inquisitorische Befragung droht.«
Die Folter. Ysée starrte ihn aus übergroßen, entsetzten Augen an.
»Ihr lügt, das würdet Ihr nie tun.« Tränen brannten hinter ihren Lidern. »Wie könnt Ihr von Liebe reden und gleichzeitig mit Folter und Tod drohen?«
»Wenn es um die Unversehrtheit deiner unsterblichen Seele geht, ist jedes Mittel erlaubt.«
Er sah sie schaudern, und ihre nächsten Worte klangen so erstickt, dass er sie kaum verstand. »Habt Ihr nicht einmal gesagt, Ihr meint es gut mit mir? Ich könne Euch vertrauen? Warum habt Ihr mich belogen?«
Die Not in ihrer Stimme rührte an sein Herz, aber da waren auch die Schwüre, die er abgelegt hatte, ehe er der Welt entsagte. Pflichterfüllung und Demut hatte er versprochen, auch Keuschheit. Ein Andrieu brach keine Gelübde. »Wo ist das Buch?«
»Ihr habt kein Herz, Ehrwürdiger Vater.« Dass sie diesen Vorwurf mit der Anrede des
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