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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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seinem eigenen bescheidenen Verstand lösen. Die Frage war nur, wie? Ärgerlich verbarg er die eisigen Hände in den Ärmeln seiner Kutte und wandte sich dem Ausgang zu. Obwohl er sich vornahm, es nicht zu tun, blickte er zur Madonna mit der Weintraube hinüber. Flackerndes Kerzenlicht tanzte über das bemalte Gewand und die leeren Altarstufen zu Füßen der Gottesmutter.
    Was hatte er erwartet? Ysée dort zu finden? Simon schüttelte den Kopf über seine seltsamen Vorstellungen. Lag es nur an seinem Mitleid und an seinem schlechten Gewissen, dass er sich ständig fragte, wo sie war und wie es ihr ging? Erst wenn er sie in Sicherheit wusste, würde er sich so um seine eigentliche Aufgabe im Weingarten kümmern können, wie es Seine Heiligkeit von ihm erwartete.
    Er musste Mareike Cornelis insgeheim Recht geben. Eigentlich wäre es für alle das Beste, wenn Ysée aus freien Stücken in der frommen Enklave des Weingartens blieb, um Gott zu dienen und ein Leben in keuscher Frömmigkeit zu führen. Sie war eine Frau und, egal, ob sie die Ländereien ihres Vaters im Burgundischen beanspruchte oder das Erbe ihres Großvaters einforderte, in beiden Fällen benötigte sie einen Ehemann, der für sie sprach und ihre Rechte vertrat. Doch die bloße Vorstellung, welche umfassenden Rechte dieser Ehemann über das Mädchen haben würde, trieb Simon den Schweiß auf die Stirn. Wie verhielt es sich mit Ysées Frömmigkeit? Würde sie ein Leben in Reichtum für das eigene Seelenheil hingeben? Sie hatte ihm den Brief des Kaufmanns überlassen, aber er wagte nicht zu hoffen, dass dies schon eine endgültige Entscheidung war. Schon Thomas von Aquin hatte im vergangenen Jahrhundert gelehrt, dass Frauen sowohl geistig wie auch moralisch niedriger als Männer standen. Sie bedurften der Anleitung, der Hilfe und des Schutzes eines Mannes, um nicht in Versuchung zu geraten. Er würde Ysée all dies gewähren und damit seine Schuld an ihr sühnen. Er musste sofort mit ihr sprechen. Simon verließ eiligen Schrittes die Kirche und ging in Richtung der Hütten des Weingartens. Er hatte es so eilig, dass er die Begine nicht bemerkte, die aus dem Kapitelhaus trat und ihm erstaunt nachschaute.
    An den Ziehbrunnen herrschte solcher Andrang, dass die Wartenden Schlangen bildeten. Von allen Seiten wurde er respektvoll gegrüßt, und neugierige Blicke folgten ihm. Simon kümmerte sich weder um die Blicke noch um die Grüße. Daran gewöhnt, in der Menge anderer Mönche zu verschwinden, missfiel es ihm, im Mittelpunkt zu stehen, und schon gar nicht wollte er überflüssige Aufmerksamkeit erregen. Der scharfe Geruch nach ranzigem Wollfett wurde intensiver, das Quietschen der schwerfälligen Holzkräne am Minnewaterhafen lauter. Ein Zeichen, dass er sich den ärmeren Regionen des Weingartens näherte. Als er in die Gasse zu den Wollschuppen einbog, trat Ysée eben mit einem Eimer aus ihrem Haus. Wenn er indes angenommen hatte, dass sie ihm auf dem Weg zum Brunnen entgegenkommen würde, sah er sich getäuscht. Sie verschwand zwischen zwei Speicherhäusern, ohne wieder aufzutauchen. Zögernd folgte er ihr und entdeckte sie schließlich reglos, mit geschlossenen Augen an der Mauer lehnend.
    »Was tust du da?«
    »Heilige Mutter Maria!« Ysée fuhr auf, ließ den leeren Eimer fallen und presste die Hand aufs Herz. »Ihr habt mich erschreckt!«
    »Was machst du hier?« Simon ließ sie nicht aus den Augen. Er stellte fest, dass sie völlig verwirrt, wenn nicht sogar ängstlich wirkte.
    »Nichts Böses.« Ysée verteidigte sich, obwohl er ihr keine Vorwürfe gemacht hatte. »Ich wollte nur einen Augenblick für mich sein.«
    »Wozu?«
    Ysée errötete. »Um Atem zu schöpfen, um den Wind zu spüren. Riecht Ihr nicht auch das Meer? Habt Ihr es schon einmal gesehen?«
    Simon sah, dass sie wieder Farbe annahm und der ängstliche Ausdruck aus ihrem Gesicht wich.
    Ohne zu überlegen, hob er die Hand und strich ihr mit der Rückseite des Zeigefingers über die Wange. Es überraschte ihn, dass sie sich so unglaublich glatt, warm und seidig anfühlte. Er versenkte den Blick in ihren.
    Ysée erstarrte unter der Berührung. Sanft wie ein Hauch drang sie bis tief in die geheimsten Winkel ihres Herzens. Sie raubte ihr Sprache und Denken zugleich. Alles in ihr wurde Gefühl. Der leise Seufzer, der ihr über die Lippen drang, riss Simon aus seinem entrückten Traum. Er musste sich zwingen, die Hand von ihr zu nehmen.
    Ysée blieb stumm, aber er entdeckte eine ungestüm

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