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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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pochende Ader an ihrer Schläfe. Sein eigenes Herz schlug im gleichen Rhythmus. Was war in ihn gefahren?
    »Verzeih«, entschuldigte er sich und trat einen Schritt zurück, um kein zweites Mal der Versuchung zu erliegen, sie zu berühren.
    Simon räusperte sich angestrengt und versuchte sich an ihre Frage zu erinnern. Was hatte sie wissen wollen? Sein Kopf fühlte sich leer und eigenartig an. Ysée bückte sich nach dem Eimer. »Warte, ich habe dich gesucht, um mit dir zu reden.« Er vertrat ihr den Weg.
    »Worüber? Niemand will mit mir reden, ich bekomme lediglich Anweisungen.«
    »Unsinn.«
    »Es ist so.« Trotzig hob Ysée das Kinn. »Für alle bin ich nur ein Ding, das zu tun hat, was man ihm sagt. Niemand will wissen, ob es mir gefällt und ob ich es gerne tue. Es wäre besser, ich wäre gestorben…« Im letzten Augenblick begriff sie, was sie gleich sagen würde, und presste die Lippen aufeinander. Lieber Himmel, fast hätte sie sich verraten! Niemand anderer als Bruder Simon konnte sie so durcheinander bringen. »Du darfst so etwas nicht einmal denken«, rief er entrüstet. »Unser Herr hat dir dein Leben geschenkt, du hast die Pflicht, es zu ehren.«
    »Warum? Gott hat mich vergessen.«
    Die Hoffnungslosigkeit ihrer Feststellung traf Simon wie ein Schlag. Sein erster Impuls war, Ysée in den Arm zu nehmen und zu trösten. Nie zuvor hatte er einen so leidenschaftlichen Wunsch verspürt, einem anderen Menschen nahe zu sein. »Gott vergisst niemanden«, widersprach er heiser. Ysées Antwort bestand aus einem Blick so voller Zweifel, dass er sich herausgefordert fühlte, Gott gegen ihr Misstrauen zu verteidigen.
    »Gott liebt jeden Menschen so, wie er ihn geschaffen hat«, beschwor er sie nachdrücklich. »Seine Liebe ist grenzenlos und ewig. Wir alle sind in ihr geborgen, und er hat auch dich gewiss nicht vergessen.«
    »Ich wünschte, ich könnte diese Liebe wenigstens einmal spüren, so wie Eure Hand oder die Mauer dort.« Ysées Stimme klang verzweifelt.
    Simons brüchige Gelassenheit geriet immer mehr ins Wanken. Ysées Gesicht verschwamm ihm vor den Augen, während die Umrisse ihrer Erscheinung langsam von der Dunkelheit verschluckt wurden. Das letzte Tageslicht spiegelte sich in ihrem hellgrünen Blick. Wehrlos war er ihrem Zauber ausgeliefert. »Du musst Gottes Liebe nicht berühren können, es genügt, wenn du um ihre Existenz weißt«, sagte er, sich wachrüttelnd. »Gott ist die Liebe, das steht schon im Evangelium des Johannes.«
    »Ja, das sagt sie auch.« Ysée erinnerte sich daran, was sie im Spiegel der einfachen Seelen gelesen hatte, und es sprudelte aus ihr heraus: »Gott ist die Liebe. Aber nur wer stark genug ist, kann den Weg der reinen Liebe gehen. Das Übel ist, ich bin nicht stark.«
    »Sie?« Simon runzelte die Stirn. »Von wem sprichst du? Von Schwester Alaina?«
    Ysée schüttelte heftig den Kopf. »Die Schwester kennt nur Arbeit und Pflicht. Nein, ich meine Marguerite Porète. Das ist eine Begine, die ein Buch…«
    »Ich weiß, wer Marguerite Porète ist.«
    »Dann habt Ihr die Schrift auch gelesen?« Ysée klatschte vor Freude in die Hände. »Ich habe mich so sehr nach einem Menschen gesehnt, mit dem ich über ihre Offenbarungen sprechen kann. Ich begreife nicht alles, was sie sagen will, und manchmal…« Sie brach ab, weil sie erst jetzt das Entsetzen in seinen Augen entdeckte. »Was ist mit Euch? Gefällt Euch der Spiegel der einfachen Seelen nicht?«
    »Du hast dieses ketzerische Machwerk tatsächlich gelesen?« Bruder Simon wollte seinen Ohren nicht trauen. »Es ist verboten, diese Schrift zu besitzen! Das Buch wurde von der Inquisition verbrannt, und die irregeleitete Person, die es geschrieben hat, schmachtet im Kerker. Sie muss sich vor dem Gericht der heiligen Mutter Kirche in Paris für ihre häretischen Thesen rechtfertigen.«
    »Irregeleitet?« Ysée hob abwehrend die Hände. »Wie könnt Ihr das sagen? Schwester Marguerite liebt Gott über alles. Sie erklärt, dass auch die einfachste Seele Freundschaft mit Gott schließen darf…«
    »Hör auf, ich bitte dich!« Bruder Simon packte Ysée so hart an den Oberarmen, dass ihr ein Schmerzenslaut entglitt. Diesmal hatte sein Griff nichts mit Zärtlichkeit zu tun. »Das ist schlimmste Freigeisterei. Es ist nicht Sache eines Weibes, zu erklären, was Gott ist, will oder kann. Sie wartet auf ihr Urteil. Wer ihre Bekenntnisse verbreitet, wird ihr Leiden teilen.«
    »Tut Ihr mir deswegen weh?«
    Erst jetzt wurde ihm bewusst,

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