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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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diesen kostbaren Erinnerungen versuchte Ysée nun ihre Furcht zu bekämpfen.
    Margarete von Courtenay hatte es geliebt, das feine, silberblonde Haar ihrer Tochter mit einem Elfenbeinkamm zu ordnen, den sie eigens für diesen Zweck von einem jener fahrenden Händler erstanden hatte, deren seltenes Auftauchen die wenigen Frauen der Burg ein jedes Mal in helle Aufregung versetzte. Es war ein unterschiedlich gezahnter Doppelkamm gewesen, mit einem geschnitzten Mittelteil, dessen Blüten und Blätter das kleine Mädchen stets bewundert hatte. Mit den groben Zinken einer Seite wurde ihre Mähne entwirrt, ehe die Mutter sie mit langen Strichen der feineren Zähne sorgsam glättete und mit bunten Seidenbändern zu zwei Zöpfen flocht. Eine liebevolle Umarmung und ein Kuss krönten das tägliche Ritual. Die Erinnerungen trösteten Ysée, obwohl sie trotz aller Bemühungen immer mehr verblassten.
    In ihrem Traum hatte Bruder Simon mit eigener Hand die Fackel an ihren Scheiterhaufen gehalten.
    Würde der Mönch sie beim Bischof anzeigen? Es war ein Fehler gewesen, ihm so schroff den Rücken zu kehren. Sie hatte ihn damit unnötig gegen sich aufgebracht.
    Mehr noch. Sie hatte das Geschenk und das Vertrauen der Maestra hoffärtig missbraucht und ihre Anweisungen in den Wind geschlagen. Sie verdiente jede Strafe. Lag es in Schwester Alainas Macht, die gefährlichen Folgen ihres Fehlers abzuwenden, oder wartete am Ende der Inquisitor auf sie? Würde sie stark genug sein, die Verhöre zu erdulden? Die Erinnerung an die Schmerzen, die sie im Traum erduldet hatte, ließ sie zweifeln. Niemand konnte diese Torturen ertragen.
    Heilige Maria, Mutter Gottes, erbarme dich meiner, hilf mir! Ysées Hände sanken herab und fanden sich zum Gebet. Ich habe gesündigt. Ich war eitel und töricht, ich wollte Bewunderung in den Augen des Mönchs lesen. Ich habe seine Anerkennung gesucht, aber nur Zorn und Empörung gefunden. Er hat sein Urteil über mich gefällt. Er wird nicht zögern, die Fackel an den Scheiterhaufen einer Ketzerin zu halten. Das Trugbild von Feuer und Hitze, von Rauch und Verderben wurde so lebhaft, dass Ysée den Qualm brennender Reisigbündel in Nase und Kehle zu schmecken glaubte. Sie musste husten, und es kam ihr vor, als erleuchte das rötliche Glühen der Herdstelle jetzt den ganzen Raum. Wie war das möglich? Der Wind hatte, ihren Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz, die Glut inzwischen längst gelöscht. Dennoch verstärkte sich der eigenartige Schein. Ysée konnte bereits die Umrisse der Fensterrahmen erkennen. Hinter den geschabten, gespannten Häuten leuchtete es wie heller Fackelschein. Das Licht kam von draußen.
    Im Nu war sie auf den Beinen, lief auf bloßen Sohlen zur Tür und riss sie auf. Im selben Augenblick schlugen die ersten hohen Flammen aus dem Dach des Lagerschuppens an der Mauer und wurden vom Wind erfasst. Der gleiche Windstoß trieb auch Ysées Aufschrei davon, denn sie wusste, dass der Schuppen bis unter das Dach mit frischer Schafschur gefüllt war. Die Lieferung war erst vor wenigen Tagen eingetroffen. Es stank erstickend nach Horn, und die dichten Qualmwolken waren es, die ihren Husten bewirkt hatten.
    Der heulende Sturm fuhr wie ein Blasebalg in das Feuer. Funken stoben zum Himmel und regneten auf die Dächer herab. Neben dem Lager begann die Reihe der Vorratsschuppen. Fertige Tuchballen, Wollstoffe, feines Leinen und sorgsam bestickte Zierborten wurden dort aufbewahrt, bis die Händler kamen. Noch war niemand auf den Beinen, um dem Unheil Einhalt zu gebieten. Dicke Wolken jagten über den Himmel, und der Stand des Mondes hinter dem Turm der Kirche verriet, dass es die dunkelsten Stunden der Nacht zwischen drei und vier Uhr morgens sein mussten. »Mutter!«
    Ysée wirbelte herum, ohne die buckelige Gestalt zu entdecken, die sich bei ihrem unverhofften Auftauchen in den Schatten des Hühnerstalles geduckt hatte. Sie lief zum Alkoven und rüttelte mit aller Kraft an Berthes Schulter.
    »Mutter, wacht auf! Ich bitte Euch, macht die Augen auf! Die Schuppen brennen! Wir müssen Hilfe holen!« Durch die offene Tür drang immer mehr Rauch. In blinder Panik rannte Ysée zu den Nachbarhäusern und trommelte mit den Fäusten gegen die Türen.
    Innerhalb kürzester Zeit waren die meisten Schwestern auf den Beinen. Halb bekleidet und völlig kopflos stürzten sie ins Freie. Ihr beschauliches Leben hatte sie nicht auf eine solche Katastrophe vorbereitet. Erst Schwester Balbina besaß Übersicht genug, die

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