Beginenfeuer
ehe er sie fassen konnte, zerbarst seine Welt in Pein und Dunkel. Was war geschehen?
Alaina war die Einzige, die den Schmerz in seinen Zügen entdeckte. Sie empfand eine seltene Regung von Mitleid, aber sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, ob dieses Empfinden nun Ysée oder dem Gottesmann galt. Der Himmel hatte eingegriffen. Niemand hatte das Recht, darüber zu richten. »Habt Ihr herausgefunden, wie das Feuer ausgebrochen ist?«, wollte Simon wissen.
»Es gibt Vermutungen, keine Beweise.« Alaina presste die Lippen zu einer messerscharfen Linie aufeinander. Es war ihr anzusehen, dass es ihr schwer fiel, ihren Verdacht für sich zu behalten.
»Brandstiftung?« Simon warf das gefährliche Wort in das Gespräch wie einen Stein in einen Tümpel. Es zog beunruhigende Kreise.
»Wen wollt Ihr beschuldigen?« Die Begine hob die unsichtbaren Brauen unter der geraden Stirnkante ihrer faille. »Es ist uns bewusst, dass es eine Reihe von Männern in Brügge gibt, die lieber Öl in das Feuer gegossen hätten, als es zu löschen. Tatsache ist, unsere Tuchvorräte sind vernichtet, die Stickereien und Borten verbrannt. Wenn nicht ein Wunder geschieht, müssen wir Grund und Boden verkaufen, um den Winter zu überstehen.« Simon erinnerte sich an ein bestimmtes Grundstück, das die Stadt Brügge angeblich dringend zur Erweiterung des Minnewaterhafens benötigte. »Könnte der Brand nicht genau aus diesem Grund gelegt worden sein?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Alaina. »Wir vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit. Unser Schicksal liegt in seiner Hand. Wir müssen uns fügen. Haltet Ihr es für möglich, dass Euch der Brandstifter niedergeschlagen hat? Es war doch ein Schlag, der diese Wunde auf Eurer Stirn verursacht hat, oder?«
»Ich nehme es an«, antwortete Simon und stöhnte, weil er den Fehler machte, zu nicken.
»Habt Ihr etwas gesehen? Würdet Ihr den Mann erkennen?«
»Ich fürchte, nein, Schwester. Es war dunkel, und der Schlag kam von hinten. Ich kann Euch nicht mit Auskünften dienen.«
»Warum wart Ihr an der Pforte?«
Simon sah der zweiten Meisterin direkt in die Augen. Er wollte keine weiteren Fragen beantworten. »Glaubt Ihr etwa, dass ich etwas mit dem Brand zu tun habe?«, fragte er zurück. »Aber nein, wo denkt Ihr hin?«
Zwei hektische rote Flecken erschienen auf Alainas Wangen. Sie wusste, wie gefährlich es war, die Lauterkeit eines Kirchenmannes anzuzweifeln. Was immer er von Ysée gewollt hatte, es war vorbei.
»Verzeiht. Ich bin nicht ich selbst. Diese Nacht hat uns alle völlig verstört, denn hinzu kommt, dass unsere geliebte Magistra in dieser Nacht verstorben ist.«
»Die ehrwürdige Mutter ist tot?«
»Sie muss vor oder während der Feuersbrunst entschlafen sein«, berichtete Alaina mit schwankender Stimme. »Sie lag friedlich in ihrem Alkoven, als wir sie fanden. Ein gnädiger Tod, denn er hat es ihr erspart, die Schrecken dieser Nacht zu erleben. Ihr müsst mich jetzt bitte entschuldigen. Der Rat der Schwestern tritt zusammen, um alles für eine würdige Beisetzung unserer geliebten Mutter festzulegen.« Sie bedachte die beiden Gottesmänner mit einem hoheitsvollen Nicken, ehe sie sich zum Gehen wandte. Die Schwestern im Spital wichen respektvoll zur Seite. Man konnte unschwer erkennen, dass sie bereits die neue Magistra ehrten. Simon sah ihr nach. Sie verbarg etwas vor ihm. Er spürte es ganz genau.
»Ihr solltet beten, Bruder.« Pater Felix gab seinen Rat, ohne darum gebeten worden zu sein. »Sowohl für das Heil Eurer Seele wie für die Seele des armen sündigen Mädchens, das auf so schreckliche Weise für seine Fehler büßen musste. Dankt unserem Herrn, dass er Euch aus dieser Versuchung errettet hat.«
Der ältere Priester seufzte leise. Es bedurfte vermutlich der Erfahrung eines langen Lebens, um die göttliche Gerechtigkeit hinter den Ereignissen zu erkennen. Der Beginenhof mochte Verluste erlitten haben, aber er war einer viel größeren Gefahr entronnen.
»Gott ist gnädig, Bruder. Er wird Euch leiten und erleuchten.« Pater Felix schlug ein segnendes Kreuz über dem Verletzten im Alkoven und folgte der neuen Meisterin. Simon versuchte Gedanken, Gefühle und Vermutungen in eine sinnvolle Reihe zu bringen. Er wusste mit unerschütterlicher Gewissheit, dass Ysée lebte. Man hatte ihn gewaltsam daran gehindert, ihr zu helfen.
Wer hatte den Kerl geschickt, der sie im Chaos des Brandes entführt hatte? Er war nicht mehr als ein Knecht gewesen. Ein ungeschickter, hinkender
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