Beginenfeuer
Machtverhältnissen im Weingarten vertraut gemacht. »Oder kann Marie von Vyvern die neue Magistra werden?«
»Bestimmt nicht. Sie ist eine der zahllosen Töchter des alten Grafen von Vyvern, und der war von jeher ein treuer Vasall der französischen Krone. Es wäre unklug vom Rat der Schwestern, in diesen Zeiten eine Frau zu wählen, deren Loyalität man schon aufgrund ihres Namens auf der Seite Frankreichs vermutet.«
Pater Felix hatte, während er sprach, einen Zinnbecher mit Wein gefüllt und hielt ihn Bruder Simon hin. Für einen Herzschlag zögerte der Mönch, dann neigte er dankend das Haupt und stürzte den Wein mit einem Zug hinunter. Der schwere Malvasier linderte indes weder die Enge in seiner Brust noch den Druck hinter seinen Schläfen. Immerhin vermochte er wieder klar zu denken, sodass er das Gespräch von seinen eigenen Schwierigkeiten auf jene des Beginenhofes lenken konnte. »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Schwester Alaina geschäftliche Belange des Weingartens mehr am Herzen liegen als Gebet und Einkehr. Sollte die Frau an der Spitze des Beginenhofes ihre Mitschwestern nicht in erster Linie zu Frömmigkeit und tätiger Nächstenliebe anleiten?«, fragte er eine Spur zu provozierend.
Der Pater ließ den Wein im Becher kreisen und bedachte seine Antwort sorgfältig. »Niemand kann ihr ein Pflichtversäumnis nachsagen.«
»Es fehlt ihr an Güte und Sanftmut.«
Pater Felix musterte seinen jungen Glaubensbruder mit milder Überraschung. »Woher kommt Euer Misstrauen, mein Freund? Sie tut das Beste für ihre Schwestern, und das ist zurzeit keine leichte Aufgabe. Wenn man in Paris im Sinn hat, den Beginen Schwierigkeiten zu machen, dann benötigt der Weingarten eine starke Magistra.«
»Wer sollte in Paris…«
»Der König. Habt Ihr noch nichts von dem Gesandten Seiner Majestät gehört, der im Prinzenhof Wohnung genommen hat? Es sieht aus, als stehe das Steuerprivileg der Beginen auf dem Prüfstand. Schwester Alaina berichtete, dass der Franzose im Namen des Königs Einblick in die Urkunden und Akten der Beginen fordert. Wozu das führt, kann sich jedes Kind ausrechnen. Die chambre des comptes Seiner Majestät findet die Fährte von Gold sicherer als jeder Jagdhund ein geschlagenes Rebhuhn.«
Im Geheimen hätte Simon diese Besitz- und Abgabenverzeichnisse ebenso gerne gesehen wie der Beamte des Königs, aber das konnte er schlecht zugeben. Stattdessen musste er sich mit Neugier auf die Person des Gesandten zufrieden geben. »Wer ist dieser königliche Bluthund?«
»Entweder ein Mann von geringer Bedeutung, denn niemand hat seinen Namen je zuvor gehört, oder einer der gesichtslosen Agenten des Seigneurs von Nogaret. Es ist ihm gelungen, Schwester Alaina einen gehörigen Schrecken einzujagen. Sie fürchtet schon jetzt den Tag, an dem er sich nicht mehr mit der Krankheit der Magistra hinhalten lässt. Wenn das Steuerprivileg fällt, gerät der Weingarten in wirtschaftliche Schwierigkeiten.« Simon verzog den Mund. »Sprechen wir von einem Handelshaus oder von einer frommen Gemeinschaft ehrbarer Frauen? Haben die Bewohnerinnen des Weingartens neben Keuschheit und Demut nicht auch freiwillige Armut geschworen?«
»Sie leben in beispielhafter Bescheidenheit und verstehen sich als Dienerinnen und Haushälterinnen Gottes auf Erden. Beim Eintritt in die Gemeinschaft verzichten sie auf allen weltlichen Besitz und unterwerfen sich der Ordnung des Beginenhofes. Ihr könnt ihnen nicht absprechen, dass sie in vorbildlicher Weise Gutes tun. Ihr seht es jeden Tag mit eigenen Augen.«
»Dessen ungeachtet sind sie keine rechtmäßigen Ordensfrauen, weil sie weder ein Gelübde ablegen noch den Regeln eines anerkannten Nonnenordens folgen«, erhob Simon Einwände. »Dass die Frauen den Beginenhof jederzeit wieder verlassen können, macht sie zu Beginen auf Zeit, an deren ernsthafter Hingabe man zweifeln muss. Ja, sie dürfen sich gar verheiraten oder in ihre Familien heimkehren. Sie haben zusätzlich das Recht, ihr Vermögen von der Gemeinschaft zurückzufordern. Solche Freiheiten sind wahrhaft von Übel.« Pater Felix dachte eine Weile nach, ehe er die Augen hob und den Blick seines Gastes suchte. »Ihr seid verärgert, Bruder. Welche Schwester hat Euch so gegen den Weingarten und seine Sitten aufgebracht?«
Er legte den Finger mitten in die Wunde, und Simon zuckte ertappt zusammen. Es stimmte, er wetterte gegen alle und meinte doch nur eine. Ysée. Sie sollte den Weingarten weder verlassen
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