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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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Löscharbeiten zu organisieren. »Wir sollten die Pforte zur Reie öffnen.« Ysée hielt sie am Ärmel ihres flatternden Gewandes fest. »Dort, wo die Wollboote immer anlegen, können wir schneller Wasser holen als aus dem Ziehbrunnen.«
    »Bist ein kluges Mädchen, Ysée«, lobte die Schwester. »Wenn das Tor auf ist, können uns auch die Männer aus der Stadt beistehen. Die Feuerwache auf dem Turm gibt schon Alarm.« Auf dem Beifried war man ebenfalls auf den Brand aufmerksam geworden. Das Hornsignal schallte durch die Nacht, gefolgt von der Feuerglocke. Immer mehr Menschen eilten herbei. Schon tanzten kleine Flammen über die Schindeln des Hauses, in dem Ysée mit ihrer Ziehmutter wohnte. Sie sah es nicht, denn sie kämpfte mit dem Balken, der die Flusspforte verriegelte. Endlich rutschte das Kantholz aus den Halterungen, und die Pforte schwang auf. Sie konnte eben noch zur Seite springen, um von den Männern nicht überrannt zu werden, die mit Kähnen und Barken über den Fluss gekommen waren. Viele der kleineren Häuser Brügges hatten, wie die einfachen Häuser des Weingartens, Dächer aus Stroh oder hölzernen Schindeln. Jeder Brand innerhalb der Stadtmauern bedeutete Gefahr für ganz Brügge.
    Ysée fühlte sich in die schrecklichsten Stunden ihrer Kindheit zurückversetzt. Das Prasseln der Flammen, die Schreie der Menschen, Rauch und Hitze, all das hatte sie schon einmal erlebt. Sie schlug die Hände vor das Gesicht, aber nichts wurde dadurch gelindert.
    Herr im Himmel, sie hatte Berthe vergessen! War sie wach geworden, oder lag sie noch in ihrem Alkoven, hilflos eingeschlossen von Rauch und Flammen? »Mutter!«
    Blind für jede Gefahr rannte sie auf das brennende Haus zu. Sie hätte sich, ohne zu zögern, in die Flammen gestürzt, doch Schwester Balbina packte sie am Arm. »Es ist zu spät, Ysée! Du kannst nichts mehr für sie tun.« Beide bemerkten sie den Hinkenden nicht. Er näherte sich. Alles schien ihm zu stimmen. Sie war die Jüngste unter den aufgeregten Beginen, hatte hellblondes Haar und wurde Ysée genannt.
    Ysée hatte Balbina nicht verstanden. In ihren Ohren brausten Sturm und Flammen. Sie deutete mit bebender Hand auf das Haus, das mittlerweile eine einzige Feuersäule war. »Meine Mutter…«
    Fassungslos sank sie in sich zusammen. Nach ihrer Halbschwester hatte sie nun auch ihrer Ziehmutter den Tod gebracht. Die ehemalige Magd hatte ihr Schicksal vorausgeahnt. All die Jahre hatte sie sich davor gefürchtet. Gelähmt von der Erkenntnis ihrer Schuld, leistete sie keinen Widerstand, als sie von dem Hinkenden hochgerissen wurde. Er zerrte sie unaufhaltsam auf die Flusspforte zu. Einer willenlosen Puppe gleich, ließ sie sich aus dem Gefahrenbereich schleifen, immer weiter in Richtung Mauer. »Guter Mann, was macht Ihr da?«, rief Simon von weitem, glücklich darüber, Ysée unversehrt zu sehen. »Die Jungfer darf den Weingarten nicht verlassen. Sie ist eine Begine!« Der Ruf erreichte auch Ysées Ohren. Jetzt stemmte sie sich mit aller Kraft gegen den Mann und spähte über die Schulter nach hinten. Simon näherte sich eilig. Vor dem Hintergrund der Flammen erkannte sie seine wehende Kutte. »Dem Himmel sei Dank, dass ich dich gefunden habe.« Hilflos suchte Ysée seinen Blick, doch bevor er sie erreichen konnte, sah sie einen knorrigen Holzknüppel, der mit einem dumpfen Laut auf seinen Kopf niederkrachte. Im gleichen Moment wurde etwas über sie gestülpt, das ihr jede Bewegungsfreiheit, die Sicht und fast den Atem nahm. Sie wankte.
    »Wo warst du so lange?«, hörte sie gedämpft die Stimme des Verwachsenen, der sie so gewaltsam gepackt hatte. Er presste ihr die Arme an den Leib und hob sie an, sodass ihre bloßen Sohlen hilflos über Steine und Moos schrammten. »Du hast nichts von dem Mönch gesagt, als du meine Hilfe wolltest«, beschwerte sich eine andere Männerstimme. »Was tun wir mit ihm? Werfen wir ihn in den Kanal?«
    »Halt’s Maul. Wir sind keine Mörder. Es ist schlimm genug, dass dieser Teufelswind weht. Das Feuer sollte doch nur die Lagerschuppen und nicht…« Die Stimmen wurden leiser.
    Ysée rang vergeblich nach Luft, dann verschlang sie die Dunkelheit.
     
     
     
    B RUDER S IMON
    Brügge, Infirmerie der Beginen, 19. November 1309
     
    »Gelobt sei Jesus Christus, er kommt wieder zu sich.«
    »Ehrwürdiger Vater, könnt Ihr mich sehen?« Simon blinzelte. Ein Antlitz beugte sich über ihn. »Meine Augen sind durchaus in Ordnung, Schwester. Mein Kopf ist es, der

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