Beginenfeuer
dürfen noch all die anderen Freiheiten haben. Ein tiefer Atemzug weitete seine Brust. »Bin ich so leicht zu durchschauen?«
»Rechnet es meiner Erfahrung mit den Abgründen der menschlichen Seele zugute.« Pater Felix füllte die Becher ein weiteres Mal. »Man wird nicht Priester des Pfarrsprengels vom Beginenhof ohne diese Eigenschaft.«
Simon strich sich mit zwei Fingern über die schmerzende Stirn. »Es wird Euch nicht gefallen, was ich zu sagen habe.«
»Überlasst mir das Urteil darüber. Was ist geschehen?«
»Ich habe gesündigt, Pater. Nehmt Ihr mir die Beichte ab?« Nur ein winziges Zucken der buschigen Brauen verriet die Überraschung des Priesters. Dann nickte er, stellte den Wein zur Seite und faltete die Hände, um dem Ernst des heiligen Sakramentes Genüge zu tun.
»Der Herr schenke dir die wahre Erkenntnis deiner Sünden, Bruder«, begann er mit dem formalen Ritus. Wo lag der Anfang aller Schwierigkeiten? Vielleicht war ein Beichtgespräch die richtige Wahl, sein Gewissen zu erleichtern. In knappen Worten berichtete er Pater Felix von Mareike Cornelis’ Geheimnis und Ysées Herkunft. »Aber da ist noch etwas, vermute ich…«, sagte der Pater, als Simon verstummte.
»Ja.« Er nickte. »Es war mein Schwert, das ihren Vater getötet hat.«
Sichtlich erschüttert bekreuzigte sich der Priester. »Ihr müsst noch ein Kind gewesen sein, als das geschah.«
»Gerade sechzehn«, nickte Simon. »Kein richtiger Mann, aber schon ein Mörder.«
»Ihr habt den richtigen Weg gewählt, Eure Sünden zu sühnen.« Simon gab einen bitteren Laut von sich. »Findet Ihr? Und was ist mit dem Kind, dessen Leben ich zerstört habe? Mit Violante von Courtenay? Meine Tat hat ihr alles geraubt, den Vater, das Zuhause, den Namen, die Familie. Wie kann ich ihr in die Augen sehen und zulassen, dass sie das Leben einer anderen führt?«
Pater Felix versuchte sich an die Beginen zu erinnern, aber die vielen hundert Frauen des Weingartens machten ihm die Sache schwer. Es musste eine der wenigen jüngeren Frauen sein, von der Simon sprach. Eine liebreizende, denn er hatte den untrüglichen Verdacht, dass neben all dem Bedauern, das Bruder Simon für sie empfand, noch etwas anderes im Spiel sein musste. »Das Leben einer Begine ist gottgefällig«, sagte er vorsichtig. »Warum glaubt Ihr, dass dieses Dasein für sie so unerträglich ist?«
»Ich würde mir wünschen, dass sie im Weingarten glücklich ist, aber da ist das Problem ihres unruhigen Geistes. Man hat sie lesen gelehrt, und sie nutzt diese Fähigkeit, um ketzerische Schriften zu studieren.«
Die Anklage verursachte jähe Stille in der Stube des Pfarrhauses. Man hörte den Sturm im Kamin röhren, das Gebälk des Dachstuhles unter der Gewalt des Windes ächzen. Die Kerzen flackerten im Luftzug und warfen flüchtige Schatten auf das edle Gesicht mit den asketischen Zügen des jungen Gottesmannes und das runde des Paters, das alle Freundlichkeit verloren hatte.
»Der Herr steh uns bei«, murmelte Pater Felix endlich. »Seid Ihr sicher? Das kann nicht sein. Es gibt nur wenige Bücher im Weingarten. Sie sind zu teuer und zu kostbar. Ich kenne jedes Einzelne davon. Die Maestra hütet die frommen Werke und die wissenschaftlichen Abhandlungen. Sie ist vertrauenswürdig, sie würde nie solches dulden.«
»Es ist der Spiegel der einfachen Seelen«, fiel ihm Simon ins Wort. »Sie hat es mir selbst gesagt. Und sie hat so darüber gesprochen, dass sie es gelesen haben muss.« Die Blicke der beiden Gottesmänner trafen sich. »Schlimmeres kann dem Weingarten in diesem Augenblick nicht passieren«, stammelte der Priester fassungslos. »Können wir die Tatsache nicht verschweigen?«
»Das ist Ketzerei. Ich bin verpflichtet, eine solche Verfehlung der kirchlichen Inquisition zu melden. Es ist eine meiner wichtigsten Aufgaben.«
»Das ist eine Beichte. Ihr seid ebenso durch das Beichtgeheimnis gebunden, wie ich es bin, vergesst das nicht.« Die kirchliche Inquisition. Er erschauerte bei dem bloßen Gedanken, was Ysée in den Händen dieser Männer erwartete. Der Inquisitor würde nicht ruhen, bis er das Geständnis aus ihr herausgepresst hatte. Nach Kerkerhaft und Essensentzug drohte ihr am Ende die hochnotpeinliche Befragung. Die Folter. Wie sehr sie auch immer gesündigt haben mochte, diesem Schicksal wollte er sie nicht ausliefern. Es musste einen anderen Weg geben.
»Ihr macht Euch selbst einer Sünde schuldig, wenn Ihr eine Ketzerin schont, mein Sohn«, setzte der Pater
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