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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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nach. »Es ehrt Euch, dass Ihr Mitleid mit dem sündigen Geschöpf empfindet, aber Ihr schuldet in erster Linie unserer heiligen Mutter Kirche Pflicht und Gehorsam. Auch rettet Ihr das Mädchen vor dem ewigen Verderben, wenn Ihr es der Kirche übergebt.« Er hatte Recht, Simon wusste es. Dennoch konnte er keine Entscheidung treffen.
    »Ihr begebt Euch selbst in Gefahr.« Der Ermahnung folgte die Drohung.
    »Es würde sie zerstören, Pater«, sagte Simon gequält. »Das kann ich nicht zulassen. Sie ist vielleicht irregeleitet und töricht, aber sie ist auch rein und unschuldig. Sie hat nicht mit Absicht gesündigt, sie wurde verführt und getäuscht.« Erst diese Worte lieferten dem Priester den Beweis für den vollen Umfang dieses Dramas. Er umklammerte das Kreuz über seinem Gewand, als ihm aufging, wie tief und persönlich der junge Gottesmann in diese Angelegenheit verstrickt war. »Sie führt Euch in Versuchung, nicht wahr? Ihr habt zu allem Überfluss auch die Sünde fleischlichen Begehrens zu beichten.«
    »Aber nein!«
    »Ihr lügt! Ihr sollt nicht falsch Zeugnis reden.« Simon zuckte ebenso unter der Anklage wie unter der Erkenntnis zusammen, dass sie sehr wohl eine Spur von Wahrheit enthielt. Wenn er in Ysées Augen blickte, dachte er weder an Gott noch an sein Gelübde. Dann wollte er sie in die Arme schließen und vor allem Bösen bewahren. War das nur Reue und Mitgefühl?
    Der ältere Priester sah den Schmerz der Erkenntnis in den Augen des Mönchs und machte sich im Stillen ebenfalls Vorwürfe. Er hatte Bruder Simon mit offenen Armen im Pfarrsprengel des Beginenhofes aufgenommen, beeindruckt von seiner Wahrhaftigkeit und seiner Frömmigkeit. War es ein Zeichen seines fortschreitenden Alters, dass er die Gefahr nicht früher erkannt hatte?
    Was konnte er tun, um einen Skandal zu vermeiden? Nicht auszudenken, was geschah, wenn die Einzelheiten bekannt wurden. Ein Kind aus edler Familie, das unter falschem Namen im Beginenhof verborgen wurde. Piet Cornelis, der ahnungslos die eigene, einzige Enkelin zum Weib nehmen wollte. Und nicht genug, dieselbe junge Frau auch im Mittelpunkt einer Anklage wegen Häresie und begehrt von einem Priester. Seine Eminenz der Bischof hatte ihm Diplomatie, Zurückhaltung und weises Handeln empfohlen, als er ihn zum Beichtvater des Beginenhofes ernannte. Wie sollte er ihm gehorchen und gleichzeitig das Verhängnis abwenden, das über der Maestra und ihren Schwestern schwebte?

S IEBTES K APITEL
    Flammen
     
     
     
    Y SÉE
    Brügge, Beginenhof vom Weingarten, 19. November 1309
     
    »Gestehe!« Der donnernde Befehl des Priesters übertönte das Prasseln der Reisighaufen und das Stöhnen der Gaffer. Die Flammen versengten die Luft, und jeder Atemzug brannte wie Feuer in der Brust. Die Hitze wurde unerträglich, die Kraft, gegen die Stricke zu kämpfen, die sie an den Schandpfahl fesselten, schwand wie die Sicht auf das große, schwarze Kreuz, das mahnend hinter der Feuerwand in den Himmel ragte. Gestehen? Was gestehen?
    Mit einem erstickten Schrei fuhr Ysée hoch. Ihr Herz raste, ihre Stirn brannte, und sie zitterte am ganzen Leibe. Mühevoll fand sie sich in der Wirklichkeit zurecht. Nein – sie war nicht den kläglichen Feuertod der verurteilten Ketzerin gestorben. Sie lag auf ihrem Strohsack!
    Die vermeintlichen Fesseln entpuppten sich als die dünne zerwühlte Decke, die sich ihr um die Beine gewickelt hatte. Der winzige Hauch von Glut, den sie für eine tödliche Lohe gehalten hatte, beleuchtete schwach die Steine der Herdstelle. Sie hatte die Holzkohlenreste vor dem Schlafengehen sorgsam abgedeckt, damit sie am Morgen gleich das Feuer entfachen konnte. Der neue Tag drohte elend zu werden, er sollte nicht mit den Klagen ihrer Ziehmutter über töchterliche Nachlässigkeit beginnen.
    Sie hatte geträumt! Einen schrecklichen Albtraum. Sie fasste in ihren Nacken und fühlte ihr aufgelöstes Haar. Im Traum hatte man sie geschoren, ehe sie auf den Scheiterhaufen steigen musste. Das vertraute Gewicht ihres vollen Haares entlockte ihr einen erleichterten Seufzer. Nie wieder wollte sie als Last empfinden, wenn sich aus dem Gebende, einem Tuch oder einer Haube eine lockere Strähne frei machte und als Sünde der Eitelkeit gerügt wurde.
    Für Ysée war die seidige Flut, die sie Abend für Abend kämmte und von Neuem flocht, eine letzte heimliche Verbindung zu ihrer Mutter. Berthe hatte ihr verboten, sie je zu erwähnen, aber sie konnte ihr nicht untersagen, an sie zu denken. Mit

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