Begraben
Bank, wo es etwas ruhiger ist. Ich lasse mich darauf fallen, Milliarden von Lichtern tanzen vor meinen Augen.
»Cyrille Blake, ist das richtig?«
»Ja, Sir.«
»Ihr Mann hat mich geschickt. Ich soll schauen, ob es Ihnen gut geht.«
»Es geht mir gut, aber er wird bald nicht mehr mein Mann sein. Ich habe ihn gestern verlassen.«
Ich merke, dass ich schleppend und undeutlich spreche.
»Können wir bitte etwas zu trinken bestellen?«
»Wie auch immer, Mister Blake hat mich beauftragt, Sie zu finden und mich zu vergewissern, dass Sie keine Probleme haben. Er kennt mich, wir haben zusammen gearbeitet.«
»Sagen Sie ihm, es ist alles in bester Ordnung. Ich komme sehr gut ohne ihn zurecht.«
»Das werde ich ihm ausrichten.«
»Ist das alles? Ich möchte wieder tanzen gehen.«
»Ich bin Wissenschaftler und Arzt, Frau Doktor Blake. Ihr Mann hat mir erzählt, dass Sie derzeit eine schlechte Phase durchleben.«
»Da hat er recht. Ich habe mich emotional an einen Patienten gebunden, und dieser ist so gut wie tot. Ich habe es meinem Mann gesagt, er verzeiht mir, aber ich liebe ihn nicht mehr, und außerdem möchte ich keine Ärztin mehr sein. Wie soll es mir da gut gehen?«
»Ich biete Ihnen meine Hilfe an, um alles zu vergessen, was Sie quält.«
Ich blinzele mehrmals.
»Das werden Sie mir sicher näher erklären …«
»Einer meiner Kollegen hat eine Methode entwickelt, um störende Erinnerungen auszulöschen. Ihr … Mann hat mich gebeten, mit Ihnen darüber zu sprechen. Er meinte, es könnte Sie interessieren.«
»Wie heißen Sie?«
»Sanouk Arom, Professor Arom.«
Schweißperlen traten auf Cyrilles Stirn. Julien stellte den Stimulator ab. Cyrille schien einige Sekunden zu schlafen, dann bewegte sie sich. Julien lockerte den stereotaktischen Rahmen, dessen Spitzen Abdrücke auf ihrem Kopf hinterließen, dann half er ihr auf. Cyrille fühlte sich unwohl, sie hielt den Kopf gesenkt, noch immer schockiert von dem, was sie soeben erfahren hatte.
Julien legte wortlos den Arm um ihre Schultern.
Sie schaute ihn an.
»Wenn du wüsstest …«
Cyrille streckte eine Hand aus. Seine grauen Augen, die beiden Falten um die Mundwinkel, die Sommersprossen auf seiner Stirn. Wortlos streichelte sie sein Gesicht und konnte sich nur mit Mühe artikulieren.
»Ich bin geflüchtet und wollte alles vergessen, weil … ich glaubte, du seiest verloren. Es war mein Fehler, ich habe es nicht ertragen. Ich bin vor meiner Verantwortung davongelaufen. Es ging mir so schlecht … Mein Mann hat die Gelegenheit genutzt und mich gedrängt, alles auszulöschen … Er wollte mich zurückhaben … und es hat perfekt funktioniert.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Wie konnte ich alles vergessen, dich vergessen?«
Julien war erschüttert, gleichzeitig fühlte er sich jedoch von einer Last befreit. Er legte eine Hand an ihre Wange und lächelte.
»Da bist du wieder.«
Julien drückte einen Kuss auf ihre Hand.
Und dann, ohne Vorwarnung, verdunkelten sich seine Augen.
»Ich will es auch wissen … über meine Mutter.«
Er setzte sich zu ihr auf den Untersuchungstisch.
Das grelle Licht des Gerätes warf beängstigende Schatten auf ihre Gesichter. Julien war fest entschlossen. All seine Muskeln waren angespannt.
Cyrille öffnete den Mund, ohne einen Ton herauszubringen. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Diesen Blick auf seine Mutter mit den ausgestochenen Augen hatte sie ihm vor zehn Jahren ersparen wollen, indem sie ihm hoch dosiertes Meseratrol injiziert hatte. Doch es war ihr lediglich gelungen, das Trauma ins Unterbewusstsein des jungen Mannes zu verdrängen und stattdessen andere, gewalttätige und gefährliche Verhaltensweisen zu erzeugen. Ich darf diesen Fehler nicht ein zweites Mal begehen. Wenn Julien wirkliche Heilung wollte, musste er sich seinen entsetzlichen Erinnerungen stellen. Sie atmete tief durch, um sich Mut zu machen.
»Okay.«
Julien streckte sich aus, sein Gesicht war ruhig. Cyrille schob den stereotaktischen Rahmen zur Seite, er war überflüssig, da sie die Stimulation manuell ausführen würde.
Cyrille steckte zuerst das Foto von Laurianne Daumas in die Halterung. Einen Moment lang zögerte sie, dann schob sie das Foto des Austernmessers daneben.
Sie berührte seine Hand – sie war eiskalt – und streichelte sie. Gerne hätte sie ihn um Verzeihung gebeten, aber das war nicht der rechte Moment.
Sie aktivierte den Stimulator und sah, wie sich die Hand des Fotografen verkrampfte.
Er
Weitere Kostenlose Bücher