Begraben
setzen, das Tempo beschleunigen, wenn es angebracht ist, vorangehen, sich zurückhalten, verschiedene Klangfarben wählen, um den Dialog und die Harmonie zu erhalten. Julien ist kein einfacher Patient. Aber er ist faszinierender als alle anderen. Ich habe Lust, seine Hand zu nehmen und nie mehr loszulassen.
Julien beendete die Stimulation, und Cyrille blinzelte verstört. Sie war zwischen den Zeiten verloren. Sie war achtundzwanzig Jahre alt und Assistenzärztin. Was tat sie in diesem Gerät?
»Was hast du gesehen?«, fragte Julien.
»Das, was ich vergessen wollte …«
»Cyrille, ich … meine Handgelenke fangen an zu jucken, bitte. Jetzt geht es wieder los.«
»Mach weiter …«
»Ich kann nicht.«
»Mach weiter!«
Julien platzierte die Stimulationssonde über einem anderen Bereich des präfrontalen Cortex, den das virtuelle Bild anzeigte, und legte das dritte Foto, das von Laurianne Daumas, in die Halterung.
Cyrilles Augen fixierten die unbekannte Frau intensiv. Sie driftete ab. Julien stand hinter ihr. Cyrilles Körper bäumte sich auf, der Nacken war überdehnt. Sie war nicht mehr bei sich.
Endlich, Julien spricht. Er sagt mir: »Ich war zwölf Jahre alt. « Ich höre seine schwache Stimme, Worte, die kaum über seine Lippen kommen. Es ist die zehnte Therapiesitzung. Mir ist klar, wie prekär der Moment ist. Ich höre auf zu atmen. Keine Ahnung, warum ich es weiß, aber ich bin überzeugt, dass dies der entscheidende Augenblick ist. Der, in dem mein Patient es nach intensiver Arbeit endlich wagen wird, loszulassen und die Worte auszusprechen, die er seit langer Zeit in sich verschlossen hält. Mir ist klar, dass diese, einmal ausgesprochen, den quälenden Albtraum in die Realität holen. Es ist der Wendepunkt in seiner Therapie, vielleicht sogar in seinem Leben …
Seine Stimme ist die eines Kindes, und er beginnt zu erzählen:
»Maman und ich sind beim Abendessen im Esszimmer. Plötzlich ist da ein Gasgeruch. Ich sage: ›Es riecht komisch.‹ Sie schnuppert und antwortet: ›Nein, ich rieche nichts.‹ Und dann schließlich: ›O doch, du hast recht!‹ Wir haben kein Gas. Andere Wohnungen schon. Daher ist sie beunruhigt. Sie steht auf und öffnet die Tür. Wir wohnen in der sechsten und obersten Etage. Im Treppenhaus schnuppert sie immer wieder und erklärt dann: ›Es kommt von unten.‹ Sie dreht sich zu mir um, ich bin im Pyjama, und sagt: ›Bleib hier, mein Engel‹, dann geht sie einen Stock tiefer. Ich folge ihr bis zum Treppenabsatz und sehe durch die Gitterstäbe des Geländers, wie sie die mit rotem Teppich belegten Stufen hinuntergeht. Ich weiß nicht, warum, aber ich habe Angst, weil sie die Wohnung verlässt. Ich weiß, dass Gas explodieren kann. Ich habe Angst, einen großen Knall zu hören. Sie wirkt aber so selbstsicher, dass ich nichts sage. Ich blicke nur hinunter in den fünften Stock.«
Julien hört zu sprechen auf. Ich halte den Atem an. Er wirkt ratlos. Daher ermutige ich ihn vorsichtig. Seine Augen trüben sich, er fröstelt. Seine Stimme wird immer schwächer, ist kaum noch zu vernehmen.
»Maman klopft an die Tür des Nachbarn gegenüber der Treppe im fünften Stock. Er reagiert nicht gleich. Das ist ein komischer Typ, ein junger Mann, immer allein. Nicht böse, aber seltsam. Ich will Maman sagen, sie soll vorsichtig sein, aber ich fühle mich machtlos und unfähig, sie zu verteidigen. Und sie wirkt so stark. Der Nachbar macht die Tür auf. Seine Augen sind gerötet, seine Haare nass. Maman sagt freundlich zu ihm: ›Ich glaube, es riecht nach Gas.‹ Der Nachbar verschwindet in der Wohnung, dann kommt er plötzlich zurück … Und da …«
Cyrille schlug die Augen auf, ihr Bewusstseinszustand hatte sich verändert.
»Mach weiter«, murmelte sie.
Julien gehorchte. Er verschob die Sonde und legte das vierte Foto auf die Halterung. Cyrille musste es nicht anschauen, sie wusste bereits, was es zeigte.
Julien schließt die Augen. Er kann nicht mehr weitersprechen. Daher mache ich etwas, was ich noch nie getan habe. Ich reiche ihm die Hand. Julien legt seine Hand auf meine. So bleiben wir lange sitzen. Und dann beschließt er, fortzufahren.
»Kurz darauf steht er wieder auf der Schwelle. In der Hand ein Austernmesser. Er holt aus und sticht zu. Dutzende von Malen. Auch ins Herz. In den Hals. Überallhin. Maman bricht zusammen. Sie blutet stark. Und ich kann nichts sagen, ich habe so entsetzliche Angst. Ich gehe in die Wohnung zurück, nehme das Telefon und wähle
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