Begraben
die 18, wie Maman es mir für den Fall eines Problems erklärt hat. Ich habe Mühe, dem Mann, der abhebt, irgendetwas zu erklären. Ich kann nur sagen: ›Er hat Maman umgebracht, er hat Maman umgebracht‹, und der Feuerwehrmann sagt, ich solle mich beruhigen, und ich wiederhole immer wieder: ›Er hat Maman umgebracht‹, ich kann nicht aufhören damit. Dann höre ich die Polizeisirene, die immer lauter wird. Und ich weiß nicht, warum, aber ich habe Angst, dass sie mich ins Gefängnis stecken. Ich höre Leute im Treppenhaus und Schreie. Ich wage nicht, mich zu rühren. Und als ein Polizist in die Wohnung kommt, stehe ich noch immer so da. Dann gehe ich zur Tür, um Maman zu sehen. Ein Sanitäter hat sie auf den Boden gelegt … und dann erkenne ich, dass man ihr die Augen ausgestochen hat.«
Cyrille öffnete unvermittelt die Augen. Das war es, nun verstand sie. Mein Gott, Julien. Er blendete Tiere, wie man seine Mutter verstümmelt hatte, getrieben von unbewussten Schuldgefühlen. Sie biss sich auf die Lippen, zwei große Tränen rannen langsam über ihre Wangen.
Sie schniefte und murmelte:
»Geht es noch?«
Keine Antwort.
»Julien?«
»Ja, ja, schon in Ordnung.«
Juliens Arme wiesen tiefe Kratzspuren auf.
»Mach weiter … bitte.«
»Es ist das letzte Foto.«
Dieses Mal sah sie ihren Badge als Assistenzärztin: 5699CB.
Flashback. Unter meinen Füßen ist Sand. Der Strand von Phuket? Ich schaue mich um. Nein, ich war nie am Strand von Phuket. Ich bin in der 52. Etage auf der schicken Barterrasse des Luxushotels Banian Tree in Bangkok, die sich abends in einen paradiesischen Strand verwandelt. Man hat tonnenweise Sand auf das Dach gebracht, Sonnenschirme, Liegestühle. Ich kippe meinen vierten Wodka-Apfel hinunter und tanze im Mondlicht. Ich habe eine neue Freundin, ich habe sie früher am Abend in einer anderen Bar kennengelernt. Sie heißt Maud. Sie animiert mich zum Trinken und Tanzen. Ich habe ihr von meiner Nacht mit Youri erzählt. Und dann zeige ich ihr den Badge, den ich noch in meiner Tasche habe.
»Ich möchte ihn verbrennen.«
»Was ist das?«, ruft Maud und lässt ihr Feuerzeug schnappen.
»Eine schlechte Erinnerung«, antworte ich.
Laut lachend stützen wir uns gegenseitig und torkeln davon. Wir sind betrunken. Um uns herum vergnügt sich eine Menge ebenso verrückter Ausländer mitten im Stadtzentrum, in diesem unwirklichen Ambiente.
Maud wird wieder ernst und schiebt mich in eine Ecke der Bar. Wir setzen uns auf Plastikkanister. Die Lichter drehen sich um uns. Wir sind außerhalb jeder Zeit.
»Was willst du vergessen?«, fragt Maud und versucht, mich auf den Mund zu küssen.
Ich entziehe mich ihr und lehne meinen Kopf an ihre Schulter.
»Dir kann ich es ja sagen … Ich habe jemandem, den ich liebte, etwas sehr Schlimmes angetan.«
Maud streicht mir übers Haar.
»Das war sicher keine Absicht.«
»Ich wollte ihm helfen, aber es ging gründlich daneben.«
»Du kannst nichts dafür«, sagt Maud.
»Doch. Er hatte Probleme. Ich sollte ihn behandeln. Aber alles ist schiefgelaufen.«
»Er wird sich schon erholen!«, meint Maud und wiegt den Kopf im Rhythmus der Techno-Musik.
Ich trinke meinen Wodka in einem Zug aus. Wenn wenigstens der Alkohol das Bild von Julien und dem Beatmungsgerät auslöschen könnte. Ich weiß, dass er die Augen nie mehr öffnen wird, um diese Welt zu sehen, die er so gerne fotografiert hat.
Die Verzweiflung liegt wie ein dunkler Schatten auf mir. Maud kommt mit einer neuen Runde Wodka zurück. Ich leere mein Glas zur Hälfte. Die Geräusche erscheinen mir nun lauter, ich fühle mich meiner neuen Freundin sehr verbunden.
So bleiben wir lange Zeit. Mein Körper tanzt, ohne sich tatsächlich zu bewegen. Plötzlich dringt eine Stimme an mein Ohr. Sie gehört einem jungen, sehr schönen Thai, ganz in Weiß gekleidet.
»Da ist ein Herr, der Sie sprechen möchte.«
Ich drehe mich um, die Augen halb geschlossen. Ein Herr mit Hut steht im Gegenlicht der Spots im Sand, er trägt Schuhe und einen Straßenanzug. Ich stehe auf.
»Ihr Mann hat mir gesagt, dass ich Sie hier finden würde«, sagt er, als ich in Hörweite bin.
Er nimmt mich am Arm, ich lasse ihn gewähren. Es amüsiert mich, heute Abend amüsiert mich alles. Ich habe Benoît zum Teufel geschickt. Jämmerlich, nach einem Jahr Ehe. Das ist mir klar. Ich habe mit Youri geschlafen und Julien verloren. Ich kann nur noch kichern. Ich werfe Maud eine Kusshand zu und folge dem Mann. Er deutet zu einer
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