Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
gekommen?«
»Ja, da haben die gesagt, also diese Organisation da, die terroristischen Kommunisten, diese Frau ist ein Spion. Also diese widerlichen Gesellen, die kennen doch weder Vaterland noch Gott.«
»Und wann haben Sie das erfahren?«
»Im nachhinein. Hätt ich das gewußt, wär ich doch nicht ohne meine Tochter aus Ankara abgereist.«
»Von wem haben Sie es erfahren?«
»Das tut nichts zur Sache. Der Herr Aybars. Also nicht nur Herr Aybars, wir pflegen ja als Familie gute Kontakte zur Staatsebene, das hab ich Ihnen ja bereits erklärt. Als Betül freigelassen wurde, sagte sie: ›Papa, ich habe mich falsch verhalten, das war nicht gut, es tut mir wirklich leid. Ich will nie wieder was mit denen zu tun haben, ich weiß, daß das nicht richtig war. Bitte laß mich doch weiter studieren, ich hab doch nur noch ein Jahr, dann werd ich Lehrerin und komm zu euch zurück.‹ Ja, da hab ich natürlich nicht nein sagen können, ich hab meiner jüngsten Tochter ja jeden Wunsch erfüllt. Und jetzt mach ich mir solche Vorwürfe…«
»Sie haben also eine Wohnung angemietet.«
»Ja. Wir haben ja eine Hausdienerin, die Hafize, sie war Betüls Amme. Die hat sie geliebt und beschützt wie ihre eigene Tochter. Da dacht ich mir, wenn ich die in die Wohnung in Ankara versetze, dann wird der Betül doch nichts mehr passieren.«
»Hatten Sie denn keine anderen Bekannten oder Verwandten in Ankara, die sich um Ihre Tochter hätten kümmern können?«
Hayrettin dachte eine Weile nach.
»Da haben Sie aber meinen wunden Punkt angesprochen, Herr Kommissar. Es gibt da den Yavuz, den Sohn meines ältesten Bruders. Dem haben wir natürlich auch eingeimpft, auf sie achtzugeben. Hat er aber nicht getan. Er hat seine Pflicht nicht erfüllt. Ich werde ihn nicht mehr als meinen Neffen akzeptieren, so sehr hat er mich verletzt.«
Es wurde voller in der Kantine.
»Wann kann ich meine Tochter mitnehmen?«, fragte Hayrettin.
»Nach der Obduktion.«
Hayrettin stockte.
»Werden die jetzt meine Betül auseinanderschneiden?«
Behzat Ç wußte nicht so recht, ob er nur nicken oder standhaft »Ja« sagen sollte. Hayrettin hatte wieder Tränen in den Augen, dieses Mal würde er sich wohl nicht mehr halten können.
»Haben Sie denn da gar keine andere Alternativmöglichkeit, Herr Kommissar?«
»Leider nicht, das ist Vorschrift.«
Hayrettin sah ein, daß er inmitten der Menschenmenge nicht würde weinen können und stand auf. Harun führte ihn am Arm auf die Toilette. Nach einer Weile kam Harun zurück.
»Wollen wir gehen?«
Behzat Ç nickte nur.
Harun hatte das erste Mal als Vierjähriger auf dem Schoß seines Vaters am Steuer eines städtischen Omnibusses gesessen. Im Laufe der Jahre war er zu einem meisterhaften Fahrer geworden. Während die anderen Autos auf Eis und Schnee schlitterten und irgendwo auffuhren, legte Harun recht unorthodoxe Manöver hin, und obwohl Behzat Ç immer wieder fürchtete, er würde einen Wagen rammen oder jemand würde ihnen hinten reinfahren, kamen sie ohne größere Vorkommnisse zügig voran.
Als von der Nachrichtenzentrale zwei Durchsagen hintereinander durchgegeben wurden, drehte Behzat Ç sein Funkgerät lauter. Es war wieder ein bewegter Tag angebrochen und vor der Neuen Bühne in Sakarya jemand angeschossen worden. An der Landstraße in Richtung Konya hatte man einen Taxifahrer mit durchgeschnittener Kehle gefunden. Der Geier meldete sich über Funk: »Herr Hauptkommissar, welchen möchtet ihr haben?«
»Fahr du mal zum Theater, wir kümmern uns um den Taxifahrer.«
Harun wendete und fragte: »Warum fahren wir nicht zum Theater?«
»Ich hasse Theater.«
»Und wieso?«
»Auf der Mittelschule haben sie mich gezwungen, in so einem Stück mitzuspielen.«
»Hast du gut gespielt, Herr Hauptkommissar?«
»Es ist gar nicht dazu gekommen! Ich hatte nur eine kleine Rolle in einer einzigen Szene. Wir haben sechs Monate geprobt, und da bleibt der Idiot, der vor mir dran war, einfach während meiner Szene auf der Bühne und ich mußte hinter den Kulissen stehenbleiben. Fahr mal langsamer.«
Widerwillig drosselte Harun die Geschwindigkeit.
»Meinst du, daß diese Organisation da ihre Finger drin hat?«
»Keine Ahnung. Aber welche Organisation bringt denn jemanden um und tut dann so, als wär es Selbstmord. Wenn sie sie umgebracht hätten, hätten sie schon längst ein Flugblatt rausgebracht, daß sie eine Verräterin bestraft haben.«
»Die Zeiten ändern sich. Auch die Extremisten ändern
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