Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
Gehirn der Organisation, dann sammeln wir die Hirnlosen ein. Das Ding ribbelt auf wie ’ne Laufmasche. Guck dir mal die Stammbäume von denen an, das ist doch alles Armenierbrut.«
Aybars wandte seinen Blick von Behzat Ç ab und schaute Harun an wie ein Hausherr, dem plötzlich auffällt, daß er auch seinem anderen Gast Aufmerksamkeit widmen müsse.
»Harun, alter Junge, wie geht es dir?«, fragte er. »Hast du nicht langsam genug von Verbrechen aus niedrigen Beweggründen? Komm, wir holen dich zur Terrorbekämpfung.«
Behzat Ç schaltete sich mit einem väterlichen Lächeln ein: »Nee, den brauch ich, den kann ich nicht hergeben…«
Aybars unterbrach sein Tischgetrommel.
»Selbstverständlich. Wer braucht so einen Prachtkerl wie Harun nicht? Wenn der zulangt, ist Ruhe. So einen braucht man in jeder Abteilung.«
Harun, der kaum in seinen Stuhl paßte, brachte die Füße zusammen und entgegnete mit gedämpfter Stimme: »Danke schön, Herr Vorgesetzter.«
Das war zwar an Aybars gerichtet, galt aber eigentlich Behzat Ç, von dem er seit Monaten zum ersten Mal eine positive Aussage über sich hörte. Vielleicht hatte der wirklich Angst, daß sich Harun versetzen lassen würde. Dabei wäre es Harun nie in den Sinn gekommen, diese Angst auszunutzen. Er war ein naiver Kollege, der sich um Machtspielchen nicht groß kümmerte.
»Gerade in der jetzigen Phase brauchen wir Männer wie Harun umso dringender«, fuhr Aybars fort. »Vater Staat gibt mir eine Waffe und sagt mir, schütz mich. Aber ich darf diese Waffe nicht auf Leute abfeuern, die meinen Staat spalten wollen. Jeden Tag kommen hunderte Dienstanweisungen, bloß nicht abfeuern. Ja, wenn ich meine Waffe nicht benutzen darf, wozu ist sie mir dann gegeben worden? Gott hat mir eine Hand gegeben und gesagt, hau sie den Gottlosen ins Gesicht. Aber ich bekomm hier ein Disziplinarverfahren, wenn ich jemanden schlage. Meine Beamten sollen dafür belangt werden. Und dann gucken meine Beamten natürlich mich schief an. An der Basis gärt es, und ich sitze zwischen allen Stühlen.«
Aybars senkte seine Stimme beträchtlich, so daß man ihn nur noch aus nächster Nähe verstehen konnte.
»Das muß unter uns bleiben«, sagte er, »aber ich hab das letztens auch zum Präsidenten gesagt. War mir egal, ob ich jetzt befördert werde oder nicht, da mach ich mir nichts draus. Ich hab nämlich die Schnauze voll, ich sitz hier zwischen allen Stühlen. Herr Präsident, hab ich gesagt, diese Harmonisierungsgesetze sind ja schlimmer als die Strafprozeßordnung. Da können wir die StPO ja direkt küssen und uns auf die Stirne legen. Aber diese EU-Gesetze sind doch dazu gemacht worden, die Polizei fertigzumachen. Weißt du, was er da gesagt hat?«
Er schwieg eine Weile und überzeugte sich davon, daß seine Zuhörer ihm genügend Neugier entgegenbrachten. Dann wiederholte er: »Weißt du, was er da gesagt hat? Du hast ja Recht, mein lieber Aybars, aber das ist die politische Konjunktur, ihr müßt eine Weile die Zähne zusammenbeißen, und wenn der Zeitpunkt da ist, dann wird entsprechend gehandelt. Jawohl, das hat er gesagt, wenn der Zeitpunkt da ist, wird entsprechend gehandelt. Aber jetzt erklär das mal meinen Männern.«
Daraufhin schwoll seine Stimme auf eine Lautstärke an, die in der gesamten Abteilung zu hören war.
»Aber die Männer haben recht,« fuhr er fort. »Wir müssen hier Krieg führen; die Polizisten unter meinem Befehl geben ihr Leben. Die Kinder von denen, die solche Harmonisierungsgesetze erlassen, leben natürlich in Strandhäusern, die Intellektuellen leben in Strandhäusern, die Verräter leben in Prunkvillen! Die haben Menschenrechte, die Terroristen haben auch Menschenrechte, aber wenn ein Polizist stirbt, wen kümmert das schon? Und niemand steht mal auf und sagt, der Polizist ist aber auch ein Mensch, der hat auch Rechte. Aber egal, ich will euch kein Ohr abkauen.«
Die Asche der 216 hing in einem riskanten Gleichgewicht. Um ein Haar wäre sie zu Boden gefallen. Als Behzat Ç sich suchend umschaute, drückte Aybars auf seine Sprechanlage und bestellte einen Aschenbecher. Bevor Aybars eine weitere Klage anstimmen konnte, sagte Behzat Ç: »Viele Grüße von Hayrettin…«
»Hayrettin?«
»Der Vater von Betül.«
Aybars stutzte kurz und quittierte dann die Grüße mit einem Kopfnicken.
»Grüße zurück.« Er führte seine Hand behäbig über Kinn und Hals spazieren. »Wir kennen uns schon lange, er ist jemand, der für Volk und Vaterland
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