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Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Titel: Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emrah Serbes
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die sich, immer wieder im Fluß versinkend, ihren Weg zu bahnen versuchte, hob er sein Haupt leicht an. Sobald seine Beute aus dem Fluß herauskam, weiteten sich seine Augen. Sein Rücken spannte sich, und er verlagerte sein Gewicht mit Hilfe der Vorderläufe ein wenig nach hinten, bevor er pfeilschnell hervorsprang. Zwei der Antilopen sprengten zu je einer Seite davon, aber für die mittlere war es schon zu spät, als sie bemerkte, was vor sich ging. Es war eine sogenannte Elenantilope, ein kräftiges, großwüchsiges Tier. Da sie sich nicht mehr in Sicherheit bringen konnte, senkte sie den Kopf und verteidigte sich mit ihren Hörnern. Zunächst hatte sie damit Erfolg, doch als zwei weitere, junge Löwen wie aus dem Nichts auftauchten und sie umringten, mußte sie sich der Übermacht ergeben. Einer der Löwen schlug seine Krallen in ihren Rücken, der andere warf sie zu Boden, der dritte grub seine Zähne in ihren Hals. Der BBC-Reporter hatte die ganze Zeit über, da die Löwen auf Lauer lagen, beinahe geflüstert, doch jetzt, wo der Sieg eine ausgemachte Sache war, schrie er heraus: »Das ist eine positive Jagderfahrung für die noch jungen Löwen aus dem Marsch-Rudel, es wird ein Festessen für sie werden!«
    Behzat Ç schaute sich das letzte Zucken und Zittern der Antilope an und legte seine Gabel auf dem Tisch ab. Ein Viertel Baguette, ein Stück Schafskäse von der Größe einer halben Streichholzschachtel, einen ganzen Löffel Marmelade und drei Oliven hatte er gegessen und fühlte sich satt. Wenn er Sonntags die Zeit fand, sich die vom türkischen Staatsfernsehen TRT aufgekaufte BBC-Tiersoap
Big Cat Diaries
anzuschauen, fühlte er sich zwar manchmal, als habe er Arbeit mit nach Hause gebracht, doch in jenen aufregenden Momenten, wenn ein Raubtier nach seiner Beute griff, konnte er seine berufsbedingte Sicht der Dinge ablegen und sich völlig mitreißen lassen. Weder verurteilte er die Löwen aus dem Marsch-Rudel, die heimtückisch und vorsätzlich Jagd auf andere Tiere machten, noch regte er sich über die Geparden auf, die in blindem Vertrauen auf ihre einzigartige Geschwindigkeit mitten in eine Tierherde hineinsprangen, als griffen sie in eine Tombolatrommel. Schließlich töteten sie, um selbst am Leben zu bleiben. Weder töteten sie aus Geldgier, aus Sorge um ihre besudelte Familienehre, aus einem Affekt heraus, der sich über lange Jahre unterdrückten Zornes aufgebaut hatte, noch aus Rachsucht oder weil sie schlichtweg Psychopathen waren. Sie fingierten bei ihren Opfern keinen Selbstmord, versteckten nicht die Leichen und fraßen das Aas nicht selbst, sondern überließen die Reste den Geiern. Anders als bei den Todesfällen, die den Beamten in Ankara zufielen, herrschte in der Massai Mara von Kenia noch eine echte Unsicherheit, in der Kalkül und Verstellung nichts zu suchen hatten.
    Er starrte auf die Brotkrumen in der Marmelade und zündete sich eine 216 an. Nachdem er letzte Nacht Özcan wieder bei der Terrorbekämpfung abgegeben hatte, war er in den Morgenstunden nach Hause gekommen und hatte tief und durchgehend bis in den Mittag hinein geschlafen. Nach dem Aufstehen hatte er geduscht und die Bartstoppeln entfernt, die einem Polizisten aus einer Militärfamilie nicht gut standen. Dabei mußte er zu seinem Schrecken feststellen, daß er darüber nachdachte, was er heute abend anziehen sollte, wo und was sie essen und trinken würden, ob sein Geld ausreichen würde, um die Rechnung zu begleichen, und vor allem: Was er mit Bahar reden könnte, und wie er es ihr sagen sollte. Als er die Frühstücksutensilien ins Wohnzimmer getragen und sich vor den Fernseher, der allzu oft einem niveaulosen Zirkus glich, gesetzt hatte, um auf seine
Big Cats
zu treffen, war er sicher, daß der Tag gut verlaufen würde. Der Teil mit den Löwen war vorüber, und eine Gepardin, die der Tierfilmer auf den Namen Amber getauft hatte, verfolgte eine Thomson-Gazelle in solch atemberaubendem Tempo, daß man kaum sah, wie ihre Füße den Boden berührten. Es war ein Anblick, der den Genuß des Nikotins nach dem Frühstück verdoppelte. Dabei hörte er das Läuten an der Tür etwas zu spät und stand auf, ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden. Die Gazelle machte Zickzack-Manöver, während sie um ihr Leben rannte, um Amber aus dem Gleichgewicht zu bringen. Doch zu guter Letzt mußte auch sie die Pranken in ihrem Rücken spüren, ihre Beine verkrampften sich und sie stürzte zu Boden. Sie konnte erst wieder aufblicken, als die

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