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Bei Anbruch der Nacht

Titel: Bei Anbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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too Easily‹.«
    Da es das erste Mal war, dass ich mit Mr Gardner spielte, musste ich mich an alles herantasten, aber wir kriegten es gut hin. Nach dem, was er mir über dieses Lied erzählt hatte, schaute ich ständig zum Fenster hinauf, aber von Mrs Gardner kam nichts, keine Bewegung, kein Geräusch, nichts. Dann waren wir fertig, und es legten sich Stille und Dunkelheit um uns. Irgendwo in der Nähe hörte ich einen Nachbarn die Fensterläden öffnen, vielleicht um besser zu hören. Aber von Mrs Gardners Fenster kam nichts.
    »One For My Baby« machten wir sehr langsam, praktisch ohne Beat, dann war wieder alles still. Wir starrten weiter zum Fenster hinauf, und endlich, nach bestimmt einer vollen Minute, hörten wir es. Man konnte es nur gerade so erkennen, aber es war unmissverständlich: Mrs Gardner dort oben schluchzte.
    »Wir haben’s geschafft, Mr Gardner!«, flüsterte ich. »Wir haben’s geschafft. Wir haben sie mitten ins Herz getroffen.«
    Mr Gardner aber schien nicht erfreut. Müde schüttelte er den Kopf und machte eine Handbewegung zu Vittorio hin. »Fahren Sie uns zurück. Es ist Zeit für mich reinzugehen.«
    Als wir uns wieder in Bewegung setzten, hatte ich den Eindruck, dass er meinen Blick mied, fast als wäre ihm unser Auftritt peinlich, und mir kam der Gedanke, dass der ganze Plan vielleicht doch ein böser Scherz gewesen war. Schließlich hatten diese Lieder, soweit ich wusste, schreckliche Nebenbedeutungen für Mrs Gardner. Ich verstaute also meine Gitarre und
saß da, vielleicht ein bisschen verdrossen, und so fuhren wir eine Zeit lang dahin.
    Dann bogen wir in einen viel breiteren Kanal ein, und sofort sauste ein Wassertaxi, das von der anderen Seite kam, wellenwerfend an uns vorbei und brachte die Gondel ins Wanken. Aber wir waren fast vor Mr Gardners Palazzo angelangt, und während uns Vittorio zum Kai treiben ließ, sagte ich:
    »Mr Gardner, Sie waren ein wichtiger Teil meiner Kindheit. Und dieser Abend heute ist etwas ganz Besonderes für mich. Wenn wir uns jetzt einfach verabschieden und ich Sie nie wiedersehe, werde ich mir für den Rest meines Lebens den Kopf zerbrechen, das weiß ich. Bitte sagen Sie’s mir, Mr Gardner. Hat Mrs Gardner geweint, weil sie glücklich oder weil sie traurig ist?«
    Ich dachte, er gibt mir keine Antwort. In dem schummrigen Licht war er nur eine zusammengesunkene Gestalt vorn im Boot. Aber als Vittorio die Gondel festmachte, sagte er leise:
    »Ich glaube, es hat ihr gefallen, mich so singen zu hören. Aber klar, sie ist auch traurig. Wir sind beide traurig. Siebenundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit, und wenn diese Reise vorbei ist, trennen wir uns. Das ist unsere letzte gemeinsame Reise.«
    »Das tut mir wirklich sehr leid, Mr Gardner«, sagte ich leise. »Wahrscheinlich gehen viele Ehen zu Bruch, auch nach siebenundzwanzig Jahren. Aber Sie beide schaffen es wenigstens, sich auf diese Weise zu trennen. Ein Urlaub in Venedig. Mit einem Ständchen von der Gondel aus. Sicher gibt es nicht viele Paare, die bei einer Trennung so zivilisiert bleiben.«
    »Warum sollten wir nicht zivilisiert sein? Wir lieben uns immer noch. Deswegen weint sie ja dort oben. Weil sie mich immer noch genauso liebt wie ich sie.«

    Vittorio stand bereits über uns am Kai, aber Mr Gardner und ich saßen noch unten im Dunkeln. Ich wartete; und natürlich sprach er gleich weiter:
    »Wie gesagt, ich habe mich in Lindy auf den ersten Blick verliebt. Aber liebte sie mich damals auch schon? Ich bezweifle, dass ihr diese Frage überhaupt in den Sinn kam. Ich war ein Star, das war alles, was für sie zählte. Ich war das, wovon sie immer geträumt hatte, was sie sich damals, als Kellnerin, zu erreichen vorgenommen hatte. Ob sie mich liebte oder nicht, spielte keine Rolle. Aber siebenundzwanzig Jahre Ehe können Merkwürdiges bewirken. Sehr viele Paare lieben sich am Anfang, dann kriegen sie sich satt, und am Ende hassen sie sich. Manchmal aber geht es genau umgekehrt. Es hat ein paar Jahre gedauert, aber nach und nach begann mich Lindy zu lieben. Ich wagte es erst nicht zu glauben, aber nach einer Weile musste ich es glauben. Eine kleine Berührung meiner Schulter, wenn wir von einem Tisch aufstanden. Ein eigenartiges kleines Lächeln von der anderen Seite des Raums, wenn es eigentlich gar nichts zu lächeln gab, sie nur ein bisschen herumalberte. Ich wette, sie war genauso überrascht wie alle anderen, aber so war es. Nach fünf oder sechs Jahren stellten wir fest, dass wir uns prima

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