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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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hätte ihr gern gesagt: »Du hörst mir ja auch nie zu«, schwieg aber. Trotzdem freute sie sich über das Verschwinden des Mannes, den sie nur kurz gesehen hatte, der ihr aber unsympathisch gewesen war. Jetzt, da die Großmutter tot war und keine Klinikkosten mehr anfielen, mussten sie keine Angst haben, dass das Geld nicht mehr bis zum Monatsende reichte. Und vielleicht würden sie ja im nächsten Sommer einmal zusammen ans Meer fahren können – wenigstens für ein paar Tage.
    Dann hätte sie ihrer Freundin Daniela endlich einmal etwas zu erzählen.
    Léonie hatte der Italienerin inzwischen gestanden, nur Halbwaise zu sein. Sie wisse zwar nicht, wer ihr Vater sei, habe aber eine Mutter. Und Thérèse sei nur eine Nachbarin, die sie allerdings mehr liebe als ihre Mutter. Und da Daniela ihr zu Weihnachten einen Panettone aus Mailand geschickt hatte, überraschte sie sie mit einem Päckchen voller getrockneter Lavendelblüten.
    Léonie wusste, dass die Familie ihrer italienischen Freundin reich war, und deshalb war sie mit dem vernichtenden Urteil ihrer Mutter über Leute mit Geld nicht einverstanden.
    Sie wollte gerade etwas sagen, als es an der Tür klopfte.
    Â»Wer ist denn das jetzt?«, fragte die Frau und ging zur Tür. Monsieur Jean-Marie Perrin stand stocksteif davor.
    Â»Guten Tag!«, stammelte Nadine überrascht.
    Â»Darf ich reinkommen?«, fragte er.
    Sie trat beiseite, und er betrat die Küche, wo Léonie am Tisch saß.
    Der Mann warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu und widmete sich dann wieder ihrer Mutter.
    Â»Wie Sie wissen, war ich gerade auf dem Weg nach Arles, bin aber noch mal umgekehrt«, begann er.
    Â»Ich höre«, sagte Nadine.
    Â»Na ja … ich wollte Ihnen sagen, dass es mir wirklich leidtut …«, murmelte er.
    Â»Dass meine Mutter gestorben ist?«
    Â»Das auch«, erwiderte er, nicht ohne hinzuzufügen: »Aber vor allem, dass ich Sie nicht mehr abholen und sonntags ein paar Stunden mit Ihnen verbringen kann.«
    Â»Ein bisschen tut mir das auch leid«, flüsterte Nadine.
    Â»Und da habe ich mich gefragt, ob ich Sie wohl zum Mittagessen einladen dürfte. Hier in Salon gibt es ein gutes Restaurant, das meine Weine bezieht. Wenn Sie meine Einladung annehmen, würde ich gern jeden Sonntag vorbeikommen, vorausgesetzt, Sie haben Zeit für mich.«
    Nadine wandte sich an ihre Tochter: »Und was sagst du dazu?«
    Â»Toll!«, sagte das Kind widerwillig.
    Â»Du kannst bei Thérèse zu Mittag essen«, schickte ihre Mutter gleich hinterher, die wieder neue Hoffnung geschöpft hatte.

6
    S o wie du mir das schilderst, scheint sich Monsieur Perrin in deine Mutter verliebt zu haben. Du wirst schon sehen, diesmal klappt es, und sie ist versorgt!«, bemerkte Thérèse.
    Â»Er ist hässlich und unsympathisch«, wandte Léonie ein.
    Â»Aber alle respektieren ihn.«
    Â»Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben«, sagte Léonie und plapperte damit eine Redewendung nach, die sie von Thérèse aufgeschnappt hatte.
    Â»Und das soll heißen?«
    Â»Dass er bestimmt keine Frau will, die nicht aus seinen Kreisen stammt«, erklärte das Mädchen altklug.
    Thérèse sagte nichts darauf, sondern sah ihre kleine Freundin fast schon bewundernd an. Für ihre neun Jahre war sie wirklich sehr helle. Doch wenn Nadine ihre Trümpfe geschickt ausspielte, vielleicht …
    Der Winzer sprach im Laufe des Jahres eine Sonntagseinladung nach der anderen aus, wobei er Nadine nach wie vor siezte und ununterbrochen auf sie einredete. Sie dagegen nickte stumm und langweilte sich zu Tode. Und jung und lebenslustig, wie sie war, fühlte sie sich von der Beharrlichkeit, mit der dieser Mann sie zur bloßen Zuhörerin degradierte, regelrecht erdrückt.
    Jetzt, da Léonie kein kleines Kind mehr war, zog Nadine sie zunehmend ins Vertrauen. Eines Tages sagte sie: »Findest du es richtig, dass ich meine Zeit an einen fast Fünfzigjährigen verschwende, der reich, aber geizig ist? Letzten Sonntag habe ich ihm erzählt, dass ich Geburtstag habe, und da hat er gelächelt und gesagt: ›Herzlichen Glückwunsch.‹ Ich wünsche mir einen Mann, mit dem ich das Leben genießen kann und der mich ab und zu zum Tanzen ausführt. Der mich nach Paris mitnimmt, mir Geschenke macht. Soll ich dir mal was sagen? Am nächsten Sonntag knalle ich ihm die Tür

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