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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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vor der Nase zu.«
    Â»Fragt er eigentlich nie, wie es mir geht?«, wollte Léonie wissen.
    Â»Das fragt er nicht einmal mich! Außerdem mag er Kinder nicht besonders. Sie stören ihn.«
    Â»Wusste ich’s doch: Monsieur Perrin ist unsympathisch.«
    Â»Du kannst eh keinen meiner Verehrer leiden. Wenn er mich heiraten würde, wäre ich für den Rest meines Lebens versorgt.«
    Â»Würdest du ihn wirklich heiraten, wenn er dich fragen würde?«
    Nadine überlegte und sagte dann leise: »Dann wäre ich endlich in Sicherheit. Du kannst das nicht verstehen, aber ich habe eine unglaubliche Angst vor dem Tag, an dem ich in den Spiegel sehe und merke, dass meine Schönheit langsam dahinwelkt. Dieser Körper und dieses Gesicht sind mein einziges Kapital. Doch wie lange kann ich sie noch einsetzen, um Gewinn daraus zu schlagen? Meine Zeit ist kostbar, und ich sollte sie besser mit jemandem verbringen, der nicht so egoistisch ist wie Monsieur Perrin.«
    Â»Vielleicht tust du das ja schon?«, fragte ihre Tochter vorsichtig.
    Seit einigen Wochen hörte sie, dass ihre Mutter kurz vor dem Schlafengehen leise und lange Telefonate führte. Sie hatte im Bad ein teures Parfüm von Dior entdeckt und in der Wäscheschublade ein kostbares Wäscheset aus schwarzer Seide, das noch neu verpackt war.
    Daraufhin erwiderte ihre Mutter: »Dir entgeht aber auch gar nichts! Das ist bloß ein L’Oréal-Vertreter, den ich im Friseursalon kennengelernt habe. Er ist ein gut aussehender junger Mann und sehr amüsant. Er hat viele Pläne und möchte einen Kosmetiksalon in Avignon eröffnen … Aber ich weiß nicht so recht. Er hat mich zu einer Silvesterparty nach Marseille eingeladen.«
    Â»Und mit wem verbringe ich Silvester?«
    Â»Merkst du eigentlich, wie du bist? Du denkst nur an dich. An mich denkst du nie!«
    Léonie hatte Mitleid mit ihrer kindischen Mutter. Deshalb versicherte sie ihr rasch: »Fahr du ruhig! Ich bleibe bei Thérèse und einer Verwandten von ihr, die aus Nantes kommt.«
    Der letzte Tag des Jahres war ein Sonntag, und Nadine fuhr frühmorgens mit dem jungen L’Oréal-Vertreter davon. Zur Mittagszeit tauchte Monsieur Perrin auf.
    Â»Meine Mutter ist nicht da«, sagte Léonie fast schon freudig.
    Â»Das kann doch nicht sein, heute ist Sonntag!«, erwiderte der Mann fassungslos.
    Er trug einen Kamelhaarmantel mit Pelzkragen, schwarze Hand schuhe und einen schwarzen Hut, und sie konnte sein Aftershave riechen.
    Â»Aber es ist auch der letzte Tag des Jahres. Meine Mutter wurde zu einer Silvesterparty nach Marseille eingeladen«, verkündete sie.
    Â»Trotzdem ist und bleibt es Sonntag«, erwiderte er beleidigt.
    Léonie freute sich diebisch, als sie die Enttäuschung bei dem reichen Herrn sah.
    Â»Sie hätte mir wenigstens Bescheid geben können!«, bemerkte er und verabschiedete sich grußlos.
    Léonie feierte Silvester mit Crêpes Suzette und einem winzigen Schluck Champagner aus dem jährlichen Weihnachtsfresskorb von Monsieur Perrin. Sie lauschte der lebhaften Unterhaltung zwischen Thérèse und ihrer Schwägerin, und als sie der Schlaf übermannte, ließen die beiden alten Frauen sie zwischen sich übernachten.
    Als sie wach wurde, schlief die Schwägerin aus Nantes noch.
    Thérèse dagegen war bereits fix und fertig angezogen, stand in der Küche und machte Frühstück.
    Da erzählte Léonie ihr von Monsieur Perrins Besuch, und sie mussten beide lachen.
    Â»Soll ich dir mal was sagen? Dieser Mann muss so unerträglich sein, dass er völlig vereinsamt ist. Deine Mutter hat gut daran getan, sich rar zu machen. Vielleicht hat Perrin heute begriffen, dass er ihr einen Heiratsantrag machen muss, wenn er weiterhin auf sie einreden will.«
    Â»Ich kann nur hoffen, dass er das nicht tut!«
    Â»Das hoffe ich auch, nicht dass sie noch Ja sagt.«
    Â»Er wird sich hier nicht mehr blicken lassen. Mir tut es nur wegen der Delikatessen leid. Nächstes Jahr wird es wohl keinen Fresskorb mehr geben«, bemerkte Léonie.
    Jean-Marie Perrin ließ sich einige Wochen nicht mehr sehen.
    Im Frühling sah Léonie, wie sich der Winzer eines Tages hinter dem Blumenstand auf dem Marktplatz versteckte. Er sah zum Friseursalon Jules et Lorette hinüber und hatte die Hände in die Taschen seines Regenmantels gesteckt. Bestimmt spionierte er ihrer Mutter nach.

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