Bei Anbruch des Tages
Also ging sie zu ihm und begrüÃte ihn laut und deutlich.
»Guten Tag, Monsieur Perrin.«
Ãberrascht fragte er: »Wer bist denn du?«
»Ich bin Nadines Tochter, erinnern Sie sich nicht?«
»Ach so, ja. Ich habe es eilig, ich muss gehen«, erwiderte er und verschwand.
Abends erzählte Léonie ihrer Mutter: »Monsieur Perrin spioniert dir nach.«
»Ich weiÃ. Jetzt, da es Frühling ist, scharwenzelt er ständig um den Salon herum. Er ist so dumm und glaubt, ich merke es nicht. Aber ich lasse ihn in seinem eigenen Saft schmoren.«
Nadine ging oft mit dem gut aussehenden jungen Mann aus, der als Vertreter für LâOréal arbeitete. Er hatte nicht viel Geld, dafür jede Menge Träume. Und sie, die aufgehört hatte zu träumen, zögerte noch, an ein neues Glück zu glauben.
»Ich hatte gedacht, der hässliche Perrin hätte genug«, bemerkte die Tochter.
»Er spioniert mir hinterher, seit er mich mit Philippe gesehen hat. Bestimmt beiÃt er sich vor Wut in den Hintern. Denn noch so eine Dumme, die bereit ist, sich sein ganzes dummes Geschwätz anzuhören, findet er bestimmt nicht mehr.«
Eines Abends, es war bereits Sommer, rief Monsieur Perrin an. »Gib mir deine Mutter«, befahl er Léonie.
»Mama, Monsieur Perrin ist am Telefon. Bist du zu Hause oder nicht?«, fragte das Mädchen, obwohl es ganz genau wusste, dass der Mann es mitbekam.
»Sag ihm, ich bin nicht da!«, rief Nadine so laut, dass es nicht zu überhören war.
»Meine Mutter ist nicht da«, richtete Léonie ihm aus und legte anschlieÃend auf.
Nadine lachte amüsiert und sagte dann: »Jetzt dürfte er verzweifelt genug sein, um den entscheidenden Schritt zu unternehmen. Aber diesmal werde ich die Regeln bestimmen!«
7
A ls Nadine am nächsten Abend von der Arbeit kam, stand sieMonsieur Perrin gegenüber.
»Ich möchte nicht stören, Mademoiselle Nadine, aber ich will gern kurz mit Ihnen sprechen. Auch um Ihnen zu sagen, dass meine arme Frau Mutter gestorben ist.«
Die ganze Stadt wusste, dass die alte Madame Geneviève Perrin sich in der Klinik vom Balkon gestürzt hatte. Niemand wusste, wie es ihr gelungen war, durch die verschlossene Tür nach drauÃen zu gelangen.
»Monsieur Perrin, das mit Ihrer armen Mutter tut mir sehr leid. Aber wenn ich ganz aufrichtig sein darf: Als ich meine Mutter verloren habe, hat es Sie nicht weiter interessiert. Ich habe Ihnen zwei Jahre lang zugehört. Ich habe mir die Heldentaten Ihrer verstorbenen Ehefrau angehört, die Probleme mit Ihren Angestellten, die detaillierten Beschreibungen der Weinherstellung. Ich weià alles über den Unterschied zwischen einem herkömmlichen Korken und einem Plastikverschluss. Ich weiÃ, wie die Flaschen etikettiert und die Fässer gereinigt werden, worin sich die Trauben unterscheiden, je nachdem ob die Saison sonnig oder verregnet war. Zwei Jahre lang haben Sie mir von Ihren Gewinnen und Verlusten erzählt und wie viel die Louis-Quinze-Sessel und die Aubusson-Teppiche gekostet haben. Ãben Sie sich in Geduld, denn ich habe dringendere Probleme. Auf Wiedersehen, Monsieur Perrin.«
Der Mann stand da wie erstarrt. Er hatte die Augen weit aufgerissen, die Kinnlade war ihm heruntergefallen, und er verstand nicht, womit er es verdient hatte, dass Nadine seine Einladungen ablehnte, sich am Telefon verleugnen lieà und ihm jetzt so eine Abfuhr erteilte. SchlieÃlich hatte er die junge Frau wie eine Freundin behandelt, sie jeden Sonntag in die besten Restaurants ausgeführt. Und das war der Dank dafür? Nein, die Wahrheit war die, dass Nadine eine Schlampe war. Sie hatte nicht nur eine uneheliche Tochter, sondern war mit zahlreichen Männern zusammen gewesen. Und nun gab sie sich mit einem mittellosen Vertreter ab, der ihr nie eine anständige Zukunft bieten würde. Während er ihr durchaus â¦
Der Gedanke traf ihn wie ein Blitz, und plötzlich wurde ihm klar, dass er trotz allem bereit war, Nadine zu heiraten. Eine Erkenntnis, die ihn mit Entsetzen erfüllte.
Sollte er, Jean-Marie Perrin, sich tatsächlich so weit herablassen, einer ungebildeten jungen Frau von zweifelhaftem Ruf, die noch dazu ein uneheliches Kind hatte, einen Antrag zu machen?
Ja, das sollte er vielleicht. Aber er konnte nicht. Er hatte ihr als Mann von Welt Respekt entgegengebracht, aber das hatte sie nicht begriffen. So leid es
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