Bei Einbruch der Nacht
die verschiedenen lokalen Aktivitäten zu bündeln. Auf Veranlassung der Obersten Kriminalpolizeibehörde wurde Jean-Baptiste Adamsberg damit betraut, den »Werwolf-Fall« zu übernehmen und zu koordinieren. Diese Nachricht erreichte Châteaurouge gegen siebzehn Uhr. Von diesem Augenblick an enthielt sich Hauptmann Fromentin ohne weitere Umstände jeden Kommentars und versuchte dem Kommissar jeglichen Wunsch von den Lippen abzulesen. Aber Adamsberg brauchte nicht viel. Er wartete auf die Akten von Interpol. Ausnahmsweise ging er an diesem Samstag nicht ein einziges Mal spazieren und kritzelte im Stehen in sein Zeichenheft, während er auf das Knattern des Faxgeräts horchte. Er zeichnete den Kopf des Hauptmanns Fromentin.
Die Akten erreichten ihn kurz vor achtzehn Uhr, sie kamen vom Büro des Police Department in Austin, Texas, und stammten von Lieutenant H. H. G. Lanson. Adamsberg schnappte sich die Blätter mit gezügelter Ungeduld und las sie im Stehen, während er sich an Fromentins Bürofenster lehnte.
Die Ehe- und Kriminalgeschichte von John N. Padwell schien in allen Punkten den Aussagen der Schwester Paul und Simon Hellouins zu entsprechen. Der Mann stammte aus Austin, Texas, wo er den Beruf des Metallarbeiters ausgeübt hatte. Mit sechsundzwanzig hatte er Ariane Germant geheiratet, mit der er einen Sohn hatte, Stuart D. Padwell. Nach elf Jahren gemeinsamen Lebens hatte er Simon Hellouin, den Liebhaber seiner Frau, gefoltert und ihm dann eine Kugel ins Herz geschossen. John Neil Padwell war zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt worden, von denen er achtzehn verbüßt hatte, und war schließlich vor nunmehr sieben Jahren und drei Monaten freigelassen worden. Seitdem hatte J. N. Padwell Nordamerika nicht mehr verlassen und nichts mehr mit der Justiz zu tun gehabt.
Adamsberg besah sich lange die drei Porträts des Mörders, die ihm sein amerikanischer Kollege geschickt hatte, eins von vorn, eins im Profil von links, eins im Profil von rechts. Ein blonder Mann mit kantigem Gesicht und entschlossenem Gesichtsausdruck, helle, etwas leere Augen, dünne und heimtückische Lippen, eine Mischung aus Gerissenheit und beschränktem Starrsinn.
Er war in Austin, Texas, am 13. Dezember, vor einem Jahr und sieben Monaten eines natürlichen Todes gestorben.
Adamsberg schüttelte den Kopf, rollte die Blätter zusammen und stopfte sie in seine Jacke.
»Interessant?« fragte Fromentin, der gewartet hatte, bis der Kommissar die Augen von seinen Unterlagen hob.
»Die Spur hört da auf«, sagte Adamsberg und verzog mißbilligend das Gesicht. »Der Typ ist letztes Jahr gestorben.«
»Schade«, erwiderte Fromentin, den diese Spur nicht einen einzigen Augenblick lang beschäftigt hatte.
Adamsberg schüttelte ihm die Hand und verließ die Gendarmerie mit noch langsameren Schritten als gewöhnlich. Der ihm beigeordnete Gendarm folgte ihm bis zum Dienstkombi. Bevor er einstieg, nahm Adamsberg die zusammengerollten Blätter wieder heraus und musterte nochmal das Photo von J. N. Padwell. Dann steckte er es nachdenklich wieder ein und setzte sich auf den Beifahrersitz. Der Gendarm setzte ihn fünfzig Meter vor dem Laster ab.
Zuerst sah er das schwarze Motorrad, das am Rand der Landstraße aufgebockt stand. Dann sah er Lawrence, der rechts an der Seite des Viehtransporters saß und damit beschäftigt war, einen Haufen Fotos zu sortieren, die er zu seinen Füßen ausgebreitet hatte. Adamsberg verspürte keinen Ärger, aber einen Stich des Bedauerns darüber, Camille heute abend nicht an sich drücken zu können, und flüchtig, kaum erkennbar, auch leichte Besorgnis. Der Kanadier war wesentlich seriöser und solider als er. Im Grunde - wenn er einzig und allem auf seine Vernunft hörte - hätte er ihn Camille sogar entschieden empfohlen. Aber sein Sehnen und sein persönliches Interesse hinderten ihn daran, Camille aufzugeben und dem richtigen Mann für's Abenteuer zu überlassen.
Camille saß starr neben dem Kanadier und konzentrierte ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Bilder von den Wölfen des Mercantour, die im trockenen Gras verstreut lagen. Lawrence gab Adamsberg ein paar abgehackte Erklärungen, zeigte ihm Marcus, Elektra, Sibellius, Proserpina und die Schnauze des verstorbenen Augustus. Der Kanadier wirkte ruhig und eher wohlwollend, aber er richtete noch immer diesen inquisitorischen Blick auf Adamsberg, der zu fragen schien: ›Was suchst du?‹
Soliman deckte den Tisch auf der Holzkiste, während der Wacher im Sitzen,
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