Bei Einbruch der Nacht
Schweigen.
»Ich würde dir am Arm weh tun«, sagte Camille. »Es ist besser, getrennt zu schlafen.«
»Das ist nicht besser.«
»Aber es ist auch gut.«
»Es ist auch gut. Aber es ist nicht besser.«
»Und wenn ich dir weh tue?«
»Nein«, sagte Adamsberg kopfschüttelnd. »Du hast mir nie weh getan.«
Noch hin- und hergerissen zwischen Ruhe und Chaos, zögerte Camille.
»Ich habe dich nicht mehr geliebt«, sagte sie.
»Das geht vorbei«, erwiderte Adamsberg.
33
Derselbe Gendarm holte Adamsberg am nächsten Morgen wieder ab und fuhr ihn um neun zur Gendarmerie von Beicourt, wo er zwei Stunden bei Sabrina Monge in der Zelle verbrachte, in der sie übernachtet hatte. Danglard und Inspektor Gulvain kamen mit dem Zug um 11 Uhr 07, und Adamsberg vertraute ihnen die junge Frau samt einer Menge unnötiger Empfehlungen an. Er setzte blindes Vertrauen in Danglards Feingefühl, dessen Fähigkeiten er, was Menschlichkeit betraf, den seinen weit überlegen hielt.
Mittags ließ er sich zur Gendarmerie von Châteaurouge fahren, um dort die Interpol-Akten über John Neil Padwell abzuwarten. Fromentin, der Gendarmeriehauptmann von Châteaurouge, war ein ganz anderer Mann als Aimont, rotgesichtig und vierschrötig, wenig geneigt, der zivilen Kriminalpolizei zur Hilfe zu kommen. Er war - zu Recht der Ansicht, daß Kommissar Adamsberg außerhalb seines Kompetenzbereichs und ohne Befugnisübertragung keinerlei Recht hatte, ihm Befehle zu erteilen, was Adamsberg übrigens auch nicht tat. Adamsberg begnügte sich wie in Beicourt und in Bourg damit, um Informationen zu bitten und Ratschläge zu geben.
Aber da Hauptmann Fromentin feige war, wagte er es nicht, sich dem Kommissar, dessen zweideutige Berühmtheit er kannte, direkt entgegenzustellen. Zudem erwies er sich als sehr empfänglich für die einschmeichelnden Freundlichkeiten, die Adamsberg aufzubieten verstand, wenn es erforderlich war, so daß der massige Fromentin sich schließlich fast dem Befehl des Kommissars unterstellt hatte.
Auch er wartete auf das Fax von Interpol, ohne zu verstehen, was Adamsberg sich wohl von einem längst erledigten Fall erhoffte, der nichts mit den Überfällen der Bestie vom Mercantour zu tun hatte. Soweit bekannt war, das heißt nach dem, was Hellouins Schwester erzählt hatte, war Simon Hellouin nicht an einer Bißwunde gestorben. Er war schlicht auf die amerikanische Art erledigt worden: mit einer hübschen Kugel ins Herz. Unmittelbar davor hatte Padwell sich noch die Zeit genommen, ihm als Vergeltungsmaßnahme die Genitalien zu verbrennen. Verschreckt und angewidert verzog Fromentin das Gesicht. In seiner Vorstellung war die Hälfte der Amerikaner auf das Niveau von Wilden zurückgefallen und die andere ins Gegenteil, auf das Niveau von Plastikspielzeug.
Die Ergebnisse der IRCG-Analysen erreichten um fünfzehn Uhr dreißig den Schreibtisch von Hauptmann Aimont, der sie fünf Minuten später an Fromentin übermittelte. Die an der Leiche von Paul Hellouin aufgefundenen Haare stammten von der Art Canis lupus, dem gewöhnlichen Wolf. Adamsberg leitete die Information augenblicklich an Hermel weiter sowie an Montvailland und den Gendarmeriehauptmann Brévant in Puygiron. Es machte ihm Spaß, diesem Burschen, der ihm die erwarteten Unterlagen über Auguste Massart noch immer nicht geschickt hatte, ein wenig auf die Nerven zu gehen.
Am Morgen war Massarts Foto in der Presse veröffentlicht worden, und der Druck, der von den Zeitungen, dem Fernsehen und vom Radio ausging, wurde größer. Der Mord an Paul Hellouin und das darauf folgende Schafmassaker in Châteaurouge hatten Journalisten und Polizei endgültig aufgeschreckt. Die blutige Route des Werwolfs war in allen Tageszeitungen abgedruckt. Als rote Linie die bisherige Mordspur des psychopathischen Killers, als blaue seine voraussichtliche Route in Richtung Paris, die Strecke, die er selbst markiert hatte und die er bislang mit Ausnahme von Vaucouleurs und Poissyle-Roy sorgfältig eingehalten hatte. Wiederholte Aufrufe mahnten die Bewohner der an der Strecke des Wolfmannes liegenden Städte und Dörfer entschieden zur Vorsicht und warnten davor, nachts das Haus zu verlassen. Inzwischen gingen erste Anrufe, Anzeigen und unterschiedlichste Zeugenaussagen bei allen Kommissariaten und Gendarmerieposten Frankreichs ein. Einstweilen wurde alles, was nicht die unmittelbare Umgebung von Massarts roter Strecke betraf, beiseite gelassen. Angesichts der Dimensionen des Falles wurde es notwendig,
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