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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Kanadier die Worte aus der Nase zu ziehen.
    »Niemand findet das Tier«, schloß sie. »Weder die noch ihr.«
    »Unauffindbar«, bestätigte Lawrence. »Muß ziemlich randalieren, die Hunde müßten ihn riechen.«
    »Also?«
    »Ein harter Kerl. Tough guy.«
    Camille verzog das Gesicht. Das erstaunte sie. Obwohl, auch bei dem Wolf von Gévaudan hatten sie ganz schön lange gebraucht, um ihn zu erwischen. Falls es der richtige gewesen war, was man nie hatte beweisen können. Deshalb konnte das Tier auch noch zwei Jahrhunderte danach seinen Schatten umherschweifen lassen.
    »Trotzdem«, murmelte sie, ihr Kinn auf den Knien, »das wundert mich.«
    Lawrence strich ihr durchs Haar.
    »Es gibt hier jemanden, den das überhaupt nicht wundert«, sagte er.
    Camille wandte Lawrence den Blick zu. Es war jetzt bereits Nacht, sie sah sein Gesicht nur noch undeutlich. Sie wartete. Bei Nacht war Lawrence gezwungen, mehr zu reden, da man seine Zeichen nicht mehr erkennen konnte. In der Dunkelheit fand er sogar zu einer gewissen Flüssigkeit der Rede.
    »Jemand, der nicht daran glaubt«, sagte er.
    »An die Jagd?«
    »An das Tier.«
    Erneutes Schweigen.
    »Versteh nicht«, sagte Camille, die inzwischen auch manchmal unwillkürlich an den Worten sparte.
    »Der glaubt, daß es kein solches Tier gibt«, erklärte Lawrence, der sich überwinden mußte. »Nicht ein einziges Tier. Hat's mir im Vertrauen gesagt.«
    »Aha«, erwiderte Camille. »Und was dann? Ein Traum?«
    »Nein.«
    »Eine Halluzination? Eine kollektive Psychose?«
    »Nein. Glaubt, es ist kein Tier.«
    »Glaubt er auch nicht an die toten Schafe?
    »Doch. Natürlich. Aber nicht an das Tier.«
    Camille zuckte entmutigt mit den Schultern.
    »An was glaubt er also?«
    »An einen Menschen.«
    Camille richtete sich kopfschüttelnd auf.
    »An einen Menschen? Der Schafe frißt? Und die Bißwunden?«
    Lawrence verzog das Gesicht zu einem Lächeln.
    »Glaubt an einen Werwolf.«
    Erneutes Schweigen. Dann legte Camille ihre Hand auf den Arm des Kanadiers.
    »Einen Werwolf?« wiederholte sie und senkte instinktiv die Stimme, als ob das unheilvolle Wort bloß nicht laut ausgesprochen werden dürfe. »Ein Werwolf? Willst du damit sagen, ein Verrückter?«
    »Nein, ein Werwolf. Glaubt an einen richtigen Werwolf.«
    Camille suchte Lawrences Gesicht in der Dunkelheit, um zu sehen, ob er sich vielleicht über sie lustig machte. Aber die Gesichtszüge des Kanadiers waren undurchdringlich.
    »Redest du von so einem Kerl, der sich bei Einbruch der Nacht verwandelt, bei dem Krallen rauskommen, Fangzähne auftauchen und Fell wächst? So einem Kerl, der dann loszieht und alles in der Gegend auffrißt und der am frühen Morgen sein Fell unter die Jacke zwängt und zur Arbeit geht?«
    »Genau von so einem«, bestätigte Lawrence in ernstem Ton. »Von einem Werwolf.«
    »Und so was soll es hier in der Ecke geben?«
    »Ja.«
    »Und der soll all die Schafe seit dem Winter gerissen haben?«
    »Oder die letzten zwanzig.«
    »Und du« - Camille zögerte - »du glaubst daran?«
    Lawrence lächelte vage und zuckte mit den Schultern.
    »God«, sagte er. »Nein.«
    Camille stand auf, lächelte und schüttelte ihre Arme, wie um Schatten zu vertreiben.
    »Welcher Verrückte hat dir das erzählt?«
    »Suzanne Rosselin.«
    Wie vor den Kopf geschlagen, starrte Camille den Kanadier an, der noch immer ruhig, mit seinem Helm in der Hand, auf der Stufe saß.
    »Stimmt das, Lawrence?«
    »Stimmt. Neulich abend, während du das Rohr repariert hast. Sie sagt, das sei ein verdammtes Arschloch von Werwolf, der hier die ganze Gegend ausblute. Das sei der Grund, weshalb die Zähne nicht normal sind.«
    »Suzanne? Redest du wirklich von Suzanne?«
    »Ja. Von der Dicken.«
    Niedergeschmettert und mit hängenden Armen blieb Camille unbeweglich stehen.
    »Sie sagt«, nahm Lawrence den Faden wieder auf, »daß dieses verdammte Arschloch von Werwolf von, von...« - Lawrence suchte den richtigen Ausdruck - »von der Rückkehr der Wölfe geweckt worden sei und jetzt deren Überfälle nutze, um seine Verbrechen zu verbergen.«
    »Suzanne ist doch nicht verrückt«, murmelte Camille.
    »Du weißt sehr gut, daß sie eine totale Macke hat.«
    Camille antwortete nicht.
    »Tief in deinem Inneren weißt du es«, fuhr Lawrence fort. »Und das Schlimmste habe ich dir noch nicht gesagt«, fügte er hinzu.
    »Willst du nicht reingehen?« fragte Camille. »Mir ist kalt, mir ist sehr kalt.«
    Lawrence hob den Kopf und sprang mit einem Satz auf,

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