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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Feuerwasser -, die die gesetzliche Höchstmenge, die den Besitzern von Weinbergen gestattet war, weit überschritt. »Ich scheiß auf die gesetzliche Höchstmenge«, pflegte sie zu sagen. Suzanne waren übrigens alle gesetzlichen Höchst- und Mindestmengen der Welt sowie alle anderen Grenzwerte völlig schnurz, ob es sich dabei nun um Steuern, Gebührenmarken, Quoten, Versicherungen, französische Sicherheitsnormen, Verfallsfristen oder um die Fristen für den Unterhalt nachbarschaftlich genutzten Geländes handelte. Buteil, ihr Verwalter, sorgte dafür, daß der Betrieb wenigstens das Mindestmaß staatsbürgerlicher Pflichten erfüllte, und der Wacher kümmerte sich um die gesundheitspolizeilichen Kontrollen. Camille fragte sich, wie eine Frau, die die allgemeine Ordnung ebenso leicht umwarf, wie sie eine einfache Scheunentür eingetreten hätte, einem so allgemein verbreiteten Gerücht wie dem vom Werwolf anhängen konnte. Sie schraubte den Deckel wieder auf das Glas und lief ein paar Schritte, die Hand über ihrer Tasse. Es sei denn, Suzanne schüfe sich durch ihre Feindseligkeit den allgemeinen Gesetzen gegenüber ihre eigene Ordnung. Ihre Ordnung, ihre Gesetze, ihre Erklärung der Welt. Während alle scharenweise einem Tier hinterherrannten und einen einzigen großen Block im Dienste einer einzigen großen Idee bildeten, schlug Suzanne Rosselin, die Feindin jeglichen einmütigen Denkens, allein ihr Lager auf. Sie trotzte dem Konsens und verfiel auf eine eigene Erklärung, wie immer die sein mochte, Hauptsache, es war nicht die der anderen. »Sie hat eine Macke«, faßte Lawrence zusammen, als hätte er die Gedanken Camilles verfolgt. »Sie lebt abseits von den anderen.«
    »Du auch. Du lebst mit den Bären im Schnee.«
    »Aber ich hab keine Macke. Das ist bestimmt ein Wunder, aber ich hab keine Macke. Das ist der Unterschied zwischen der Dicken und mir. Ihr ist alles egal. Ihr ist egal, daß sie nach Wollschweiß stinkt. »Laß den Wollschweiß mal beiseite, Lawrence.«
    »Ich laß gar nichts beiseite. Sie ist gefährlich. Denk an Massart.«
    Camille fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Lawrence hatte recht. Daß Suzanne mit ihrer Werwolfgeschichte durchdrehte, mochte ja noch angehen. Man dreht durch, womit man will. Aber einen Menschen zu beschuldigen, das war etwas anderes.
    »Warum Massart?«
    »Weil er unbehaart ist«, wiederholte Lawrence geduldig.
    »Nein«, erwiderte Camille müde. »Abgesehen von der Behaarung, vergiß diese verdammte Behaarung. Warum, glaubst du, vergreift sie sich an ihm? Er ist ihr ein bißchen ähnlich, ein Ausgeschlossener, ein Einzelgänger, den keiner mag. Sie müßte ihn eigentlich verteidigen.«
    »Genau deshalb. Er ist zu sehr wie sie. Sie jagen im selben Revier. Sie muß ihn aus dem Weg räumen.«
    »Du denkst zu sehr an deine Grizzlys.«
    »So funktioniert das. Es sind zwei unbarmherzige Konkurrenten.«
    Camille wiegte den Kopf.
    »Was hat sie dir über ihn gesagt? Abgesehen von der Behaarung?«
    »Nichts. Soliman ist gekommen, und sie hat aufgehört zu reden. Ich habe nicht mehr erfahren.«
    »Das ist schon nicht schlecht.«
    »Das ist schon viel zu viel.«
    »Was können wir tun?«
    Lawrence kam näher und legte ihr die Hände auf die Schultern.
    »Ich werd dir sagen, was mein Vater mir immer wieder gesagt hat.«
    »Gut«, erwiderte Camille.
    »Wenn du frei bleiben willst, halt's Maul.«
    »O.k. Und weiter?«
    »Wir halten das Maul. Wenn die Anschuldigung der Dicken unglücklicherweise je über die Grenzen von Les Écarts hinausdringt, muß man das Schlimmste für Massart befürchten. Weißt du, was man vor noch nicht mal zweihundert Jahren in deinem Land mit denen gemacht hat, die man im Verdacht hatte?«
    »Sag es mir. Wo wir schon so weit sind.«
    »Man hat ihnen den Wanst von der Kehle bis zu den Eiern aufgeschlitzt, um zu sehen, ob das Fell innen war. Danach war es zu spät, den Irrtum noch zu bereuen.«
    Lawrence verstärkte den Druck seiner Hände auf Camilles Schultern.
    »Das darf niemals aus ihrer verdammten Schäferei nach außen dringen!« skandierte er.
    »Ich glaube nicht, daß die Leute so bescheuert sind, wie du sie dir vorstellst. Man wird sich nicht auf Massart stürzen. Die Leute wissen sehr gut, daß ein Wolf die Schafe reißt.«
    »Du hast recht. Zu normalen Zeiten hättest du sogar vollkommen recht. Aber du vergißt das Folgende: Dieser Wolf ist kein Wolf wie die anderen. Ich habe den Abdruck seiner Zähne gesehen. Und du kannst mir glauben,

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