Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
und mit seinen Ziehfäden und verfilzten Stellen aussah wie eine Pferdedecke. Anke trug ihn bis zum Sommer, nur um ihre Mutter zu ärgern.
Wie alt diese Models im Durchschnitt wohl sein mochten? Anke schätzte sie auf fünfzehn bis Mitte zwanzig. Alle könnten ihre Töchter sein. Sie machte sich selten Gedanken |106| über ihr Alter, vielleicht hatte Doris das jetzt ausgelöst, aber sie fragte sich gerade ernsthaft, seit wann sie nicht mehr zur Zielgruppe für diese Zeitschriften gehörte. Von der Mode abgesehen, die Anke durchgehend schrecklich fand, sagten ihr auch die Musiktipps nichts, genauso wenig wie die angepriesenen Bücher, in denen es um Liebeschaos, Shoppingtouren mit Freundinnen oder die Rache von verlassenen Frauen ging, die plötzlich schön, dünn und erfolgreich wurden. Die neuesten Must-Haves in der Kosmetik machten sie ratlos: Angeblich käme keine Frau ohne den neuen Trendnagellack Nummer 505 eines hippen Herstellers aus. Aber wer um alles in der Welt lackierte sich die Fußnägel denn grau?
Anke schüttelte den Kopf und blätterte bis zum Ende. Nicht einmal die Rezepte interessierten sie, was kein Wunder war, sie gehörten zu einer neuen amerikanischen Glücksdiät, bei der man nicht nur glücklich, sondern auch dünn werden sollte. Was bei vielen ja miteinander zusammenhing. Bei Anke weniger, sie wurde als Kind schon in eine Kurklinik geschickt, weil sie als zu dünn galt. Das war bis heute so geblieben, sie fuhr nur nicht mehr zur Kur.
Als Doris durch die Glastür trat, warf Anke die Zeitschrift zurück auf den Tisch.
»Ist Katja noch nicht da?« Doris ließ sich auf den anderen Sessel fallen und schlug ihre nackten Beine übereinander. Ihre Fußnägel waren knallrot lackiert, ihre Beine leicht gebräunt.
Anke wickelte den Bademantel enger um sich und betrachtete ihre Füße, deren Nägeln jegliche Farbe fehlte.
»Nein. Ich weiß auch nicht, was sie noch macht.«
Doris sah sich um. »Wir können uns ja schon mal die |107| Handtücher holen«, sagte sie, »die bekommen wir an der Rezeption und auch unseren Terminplan für die Anwendungen. Ich habe einfach mal für uns Massagen und Gesichtsbehandlungen gebucht, ist das okay?«
Anke durchzuckte wieder der Gedanke an die Kosten. Sie hatte Katja von ihrem Problem erzählt, die könnte ihr zur Not etwas Geld leihen.
»Natürlich. Schön. Danke fürs Buchen.«
Mit diskretem Klingelton meldete sich das Telefon an der Rezeption. Die Empfangsdame nahm ab, legte nach wenigen Sätzen auf und kam zu ihnen.
»Entschuldigen Sie, sind Sie Frau Goldstein-Wagner und Frau Kerner?«
Doris nickte. »Ja. Wir wollen uns gerade unsere Termine holen.«
Auch diese Frau trug ein Namensschild am Revers: »Svenja«. Sie lächelte kurz und erklärte: »Die liegen auch schon bereit. Ich soll Ihnen aber ausrichten, dass Frau Severin noch eine Viertelstunde braucht. Sie muss beruflich noch etwas erledigen. Sie könnten aber schon in die Therme gehen. Oder möchten Sie vielleicht hier noch einen Tee trinken?«
Doris und Anke sahen sich kurz an, Anke nickte. »Ich würde gern einen Tee trinken. Die Viertelstunde können wir auch noch warten.«
Während Svenja abzog, um den Tee zu holen, wippte Doris mit einem Fuß.
»Unsere Karrieremaus. Weißt du noch, wie sie damals beim Essen alle halbe Stunde angerufen wurde? Weil sie zwischen Suppe und Scholle drei Sendungen organisieren musste?«
Anke grinste. »Irgendwann hat dieser vornehme Oberkellner gesagt, dass er das Handy beim nächsten Klingeln |108| in die Elbe schmeißen würde. Das war doch nicht normal. Aber da war Katja auch noch in Hamburg und jeden Abend auf Sendung. Zwei oder drei Monate später ging sie dann ja nach Kiel ins Regionalbüro und es wurde viel ruhiger um sie.«
Doris betrachtete nachdenklich ihre Füße und spreizte die Zehen. »Ich habe sie damals so beneidet«, sagte sie leise.
Anke war überrascht. »Weil ihr dämlicher Handyton das ganze Restaurant genervt hat? Oder weil Gott und die Welt sie jeden Abend im Wohnzimmer hatten? Ich finde diese Vorstellung grauenhaft. Jeder kennt dich und quatscht dich an.«
»Ich meine nicht die Prominenz. Aber sie hatte dauernd etwas zu tun oder musste irgendwohin. Immer Termine, immer interessante Leute. In Katjas Leben passiert wenigstens was. In deinem ja auch. Nur ich sitze in diesem großen Haus in Lüneburg und warte auf Wunder.«
Svenja kam mit dem Tee, Anke bedankte sich, Doris wartete schweigend ab, bis sie wieder allein waren. Dann redete
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