Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
musterte sie. »Doris, du bist erwachsen, lass dir doch nicht von solchen Stimmungen den Tag versauen. Wir gehen gleich in die Sauna und schwitzen die schlechten Gedanken aus.«
Katja kam zusammen mit der Bedienung, sie gaben ihre Getränkewünsche auf, und während Katja sich mit einem übersichtlichen Obstteller wieder setzte, erhob sich Anke, um den zweiten Gang zu holen.
»Willst du nichts essen, Doris?«, fragte Katja.
Doris’ Antwort wurde von einem scheppernden Lärm übertönt. Sie drehten sich sofort in die Richtung, aus der der Krach gekommen war, und sahen Anke, die sich mit zwei großen silbernen Deckeln abmühte, die auf dem Boden lagen.
»Kerner hat das Büffet abgeräumt«, sagte Katja und hob die Augenbrauen. »Aber der Retter naht. Was wolltest du sagen, Doris?«
»Nichts.« Stattdessen beobachtete sie Anke, die sich mit fast feindseliger Körperhaltung von einem Gast helfen ließ.
»Das ist doch wieder der Mann aus dem Treppenhaus.« Katja beugte sich vor. »Klar ist der das. Aber guck dir mal Anke an. Die sieht aus, als wollte sie ihn töten. Ich werde gleich mal mit ihr reden. So geht das ja nicht. Das ist doch ein guter Typ.«
»Aber er ist nicht allein hier.« Doris zeigte auf einen Tisch, an dem eine Frau mit dem Rücken zu ihnen saß. »Habe ich doch schon gesagt.«
»Schade.« Katja drehte sich zu der zurückkehrenden Anke um. »Sag mal, was machst du denn da für Randale? Der ganze Saal ist im Schock.«
Anke stellte mit hochrotem Kopf einen gefüllten Teller |104| an ihren Platz. »Diese blöden Deckel sind so heiß. Ich habe mich verbrannt und ihn fallen lassen. Dann flogen gleich beide runter. Kann ja mal passieren. Ist das alles, was du isst?«
Katja ignorierte die Frage. »Das war doch dein Treppenhausritter, oder? 120 Zimmer hat dieses Hotel und rein zufällig ist der Typ dauernd in deiner Nähe. Lustig, oder nicht?«
»Severin, geh mir nicht auf die Nerven. Hol dir noch ein Apfelsinchen, das waren erst dreißig Kalorien auf deinem Teller, zehn darfst du noch.«
Anke zog ihren Stuhl näher an den Tisch und fing an, die kleinen Bratwürstchen zu zerteilen. »Und lass mich einfach in Ruhe essen. Doris, willst du was abhaben oder holst du dir selber was?«
Leicht angewidert betrachtete Doris die Mischung aus Spiegeleiern, Tomaten und Bratwurst. Sie schüttelte den Kopf. »Danke, ich gehe selbst. Dass du morgens schon so ein Zeug essen kannst.«
»Super.« Anke schob sich eine Gabel in den Mund und kaute. »Kuchen gibt es übrigens auch. Esse ich danach.«
Auf dem Weg zum Büffet beschloss Doris, diesen Tag zu einem guten zu erklären. Wäre Katja vorhin nicht so souverän gewesen, säße sie jetzt im Zug nach Hause, zerstritten mit Anke und kreuzunglücklich, weil sie dieses Wochenende versaut hätte. Aber jetzt würde alles gut und über das blöde Fest könnte sie sich später Gedanken machen.
Nach dem Frühstück gingen sie in ihre Zimmer, um die Jeans und Pullis gegen weiße Bademäntel zu tauschen, die dafür vorgesehenen Saunataschen mit Büchern, Cremes und |105| anderen Dingen zu füllen und sich in Flipflops auf den Weg in den Spa-Bereich zu machen.
Anke kam zuerst an. Es roch nach Zitrone, Eukalyptus und anderen Pflegedüften. Sie setzte sich in einen bequemen Sessel, der vor der Rezeption stand, griff wahllos zu einer der Hochglanzillustrierten, die auf dem Tisch lagen, und fing an zu blättern. Seite um Seite magere, durchgestylte und lasziv blickende, schöne Frauen, die für Mode, Schmuck, Kosmetik, Autos und Reisen warben, lauter Dinge, um die Anke sich nie viel Gedanken gemacht hatte. Früher war das wohl eine der Reaktionen darauf gewesen, dass ihre Mutter und Schwester jeden Trend mitmachen mussten, egal wie furchtbar die Mode und das gerade angesagte Make-up an ihnen aussahen. Anke hatte ihre Schwester sogar einmal mit dem Ausspruch auf die Palme gebracht, sie habe doch nur Medizin studiert, weil ihr weiße Kittel so gut stehen. Inzwischen arbeitete Martina tatsächlich nur noch zwei halbe Tage als Augenärztin in der Praxis, mehr konnte sie mit ihrem privaten Terminkalender nicht schaffen.
Anke entwickelte eine Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Äußeren, die ihre Mutter wahnsinnig machen konnte. Ihre Tochter genoss es und hatte mittlerweile einige Kleidungsstücke, die sie nur noch trug, wenn sie die seltenen Besuche bei ihrer Mutter absolvierte. Am meisten regte die sich über einen grünen Strickmantel auf, der vorne länger war als hinten
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