Bei Rotlicht Mord
Erstkommunikanten
verbarg Marcel das Gesicht eines Spötters. Unbarmherzig verfolgte seine
brillante Kamera bestimmte Gäste und ihre lächerlichen Schwächen. Es war ein
Stummfilm, doch hätte der Ton nicht entlarvender sein können.
„Die da“, sagte ich bei einer Szene,
„ist entweder blau oder hat von Geburt an schwache Nerven.“
Die betreffende Dame, nicht mehr ganz
jung, aber noch gut erhalten, mit einer vierreihigen Perlenkette um den Hals,
hatte soeben ihr Glas samt Inhalt (Williams Lawson’s) fallengelassen.
Gleichzeitig schien es, als zwinkerte sie mit den Augen. Von mondäner
Vornehmheit keine Spur!
„Das ist Madame Alderton“, klärte mich
Marcel auf, „die Frau mit dem Schmuck. Oder besser gesagt: ohne!“
„Unmäßig trägt sie ihn aber nicht grade
zur Schau“, bemerkte ich.
„Sie trägt fast nie welchen... Wollen
Sie mal einen richtigen Don Juan von der Côte sehen? Da, der Typ, der sich der
Hausherrin nähert! Das ist er.“
Ein gutaussehender junger Mann,
athletisch gebaut, elegant, im Smoking, mit einem etwas ironischen Lächeln auf
seinem sympathischen, männlichen Gesicht trat auf die frankophile Amerikanerin
zu, legte mit ausladender Geste seinen Arm um ihre Schultern und flüsterte ihr
irgend etwas ins Ohr.
„Ach, das ist ja interessant!“ rief
Marcel. „Das seh ich jetzt erst. Haben Sie’s auch gesehen?“
„Was denn?“
„Wie er sich zu ihr beugt... Sieht
verdammt so aus, als würde er auf ihr Kollier schielen.“
„Ich dachte eher, er schielt der Dame
in den Ausschnitt.“
„Von wegen! Aufs Kollier schielt er!
Sehen Sie, er spielt mit den Perlen... Aber ich weiß gar nicht, warum ich mich
so aufrege. Wenn man weiß, was in der Nacht passiert ist... Innerlich hat er
sich bestimmt totgelacht. Wirklich interessant, wie man den Bildern im
nachhinein eine ganz bestimmte Bedeutung unterschieben kann!“
„Wenn ich es recht verstehe, dann ist
das der Gigolo, von dem Sie mir heute morgen erzählt haben, nicht wahr? Der
Juwelendieb oder, vorsichtiger ausgedrückt, der Mann, der zusammen mit dem
Schmuck verschwunden ist.“
„Genau der.“
„Der Schmuck ist bis heute nicht
wieder aufgetaucht, sagten Sie. Und der Gigolo, ist der wieder aufgetaucht?“
„Ja, drei Wochen später, glaube ich.
In einer kleinen, verlassenen Bucht. Das Mittelmeer hatte ihn an Land gespült.“
„Ach, er ist tot?“
„Von seinen Komplizen erschlagen,
wurde erzählt. Oh, wie wurde an der Côte um ihn getrauert! Bestimmt haben viele
schöne Augen bei der Nachricht von seinem Tod geweint. Ein Don Juan war er, wie
gesagt. Und dazu sympathisch, sogar anderen Männern. Seltsam, was? Nicht mal
die Ehemänner konnten ihm böse sein... Ah, sehen Sie, da ist Dolguet, ein
Kollege von mir. Er war einer der Techniker unseres Aufnahmeteams. Wenn Sie mit
dem Tod von Françoise Pellerin befaßt sind, dann haben Sie doch sicher auch
schon von ihm gehört. Noch so ein Frauenheld! Einmal ist er dem Don Juan
sozusagen ins Gehege gekommen. Lange vor dieser Aldertongeschichte zwar, aber
trotzdem! Ich erinnere mich, daß Dolguet ganz schön die Fresse poliert worden
ist. Hätte allen Grund gehabt, bei der Nachricht von Dubailles Tod zu
frohlocken. Aber nein, ganz und gar nicht! Er werde keine Trauer tragen, war
sein einziger Kommentar.“
„Vielleicht war er praktizierender
Katholik und verzieh seinen Feinden... Dieser Don Juan hieß also Dubaille,
sagten Sie?“
„Ja, Albert Dubaille.“
* * *
Hélène drückte ihre Zigarette im
Aschenbecher aus. „Dubaille!“ murmelte sie. „Albert Dubaille!“
Es war sieben Uhr abends. Vor einer
Stunde war Hélène aus der Nationalbibliothek zurückgekommen. Ich saß in der
Agentur, dachte nach und zählte zwei und zwei zusammen. Wir tauschten unsere
Informationen aus und zählten dann gemeinsam zwei und zwei zusammen.
„Hätten Sie’s für möglich gehalten?“
fragte meine Sekretärin rhetorisch. „Ich war jedenfalls nicht besonders
überrascht, als ich den Namen Dubaille in den 62er Ausgaben der Zeitungen
gelesen habe.“
„Wir konnten darauf gefaßt sein, daß
dieser Dubaille früher oder später unter den Personen, die an dem Drama
beteiligt sind, Platz nehmen würde. Schließlich ist er von zwei verschiedenen
Personen angekündigt worden.“
Hélène zündete sich eine neue
Zigarette an und fragte: „Wie reimt sich das Ganze Ihrer Meinung nach
zusammen?“
„Ganz einfach. Auch ohne das, was Sie
in der Nationalbibliothek zusammengetragen
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