Bei Rotlicht Mord
es, anders als telefonisch mit ihm in Kontakt zu
treten. Gemeinsam vertieften wir uns wie zwei Gewerkschaftler in die
Gehaltsübersicht der Fernsehstars und -ansagerinnen. Dieser Mortier besaß einen
wichtigen Vorzug: Er war gleichzeitig geschwätzig und diskret. Ließ andere an
seinem Wissen teilhaben, ohne sich Sorgen darüber zu machen, zu welchem Zweck
man seine Auskünfte brauchte. Und noch eins: Er wunderte sich über gar nichts.
Nachdem ich erfahren hatte, was ich
erfahren wollte, verabschiedete ich mich von ihm und fuhr zum Parc des
Buttes-Chaumont. Die Flics geisterten immer noch in den Fernsehstudios rum und
nahmen alles und jeden unter die Lupe. Doch der entscheidende Erfolg ließ noch
auf sich warten. Ein Blick auf den Studioplan verriet mir, daß die Dreharbeiten
für das Fernsehspiel meines Freundes Lucot vorläufig auf Eis gelegt worden
waren.
Vom Buttes fuhr ich in die Rue du
Dobropol, wo Olga Maîtrejean wohnte. Seit Samstag schon wollte ich der
Schauspielerin einige Fragen stellen, doch die Ereignisse hatten mich bisher
davon abgehalten. Ich hatte Pech: Mademoiselle Maîtrejean, die übers Wochenende
weggefahren war, schien ihren Kurzurlaub zu verlängern.
Ich begab mich ans andere Ende von
Paris, in die Rue d’Alésia. Auch hier Fehlanzeige. Offenbar hatte Madame
Dolguet meinen Rat befolgt und ihre Wohnung geräumt. Die Concierge wußte nicht,
wo sie sich aufhielt; ihre Mieterin werde aber sicherlich schreiben und eine
Adresse angeben, damit man ihr die Post nachschicken könne, und wenn ich ihr
eine Nachricht zukommen lassen wolle... Ich wollte. Madame Dolguet solle sich
so schnell wie möglich mit mir in Verbindung setzen, ließ ich ihr ausrichten.
Ich müsse noch einmal mit ihr über ihren ehemaligen und jetzt verstorbenen Mann
reden.
Inzwischen hatte ich die neuesten
Ausgaben der Zeitungen durchgesehen. Der Tote von Saclay hatte immer noch nicht
gesagt, wer er war, und die Gendarmerie hatte das Geheimnis immer noch nicht
lüften können. Eine weitere Leiche — ich dachte an den Mord, der in der
vergangenen Nacht zwar nicht vor meinen Augen, aber immerhin doch an meinem Ohr
begangen worden war — , eine weitere Leiche also war bisher nicht entdeckt worden.
Meine verschiedenen Aktivitäten hatten
Zeit gekostet. Jetzt war es Zeit fürs Mittagessen. Ich nahm sie mir.
Gestärkt kehrte ich kurz nach zwei in
die Rue des Petits-Champs zurück. Gegen drei Uhr — ich saß alleine im Büro,
Hélène war weggegangen, um etwas zu besorgen — läutete es an der Tür. Ich
öffnete, und vor mir stand das reizende Geschöpf, das ich eben beschrieben
habe.
* * *
„Guten Tag, Monsieur. Sind Sie
Monsieur Nestor Burma?“ fragte sie und heftete ihre nußbraunen Augen mit dem
Goldschimmer auf mich.
„Persönlich“, antwortete ich ein wenig
atemlos, da ich die Stimme wiedererkannt hatte.
„Ich bin Angela Charpentier. Wir haben
gestern miteinander telefoniert.“
Sie lächelte und reichte mir
ungezwungen ihre schmale, behandschuhte Hand, die ich mechanisch ergriff.
„Treten Sie ein“, sagte ich.
Ich führte sie in mein Allerheiligstes
und forderte sie auf, Platz zu nehmen. Sie legte ihre Handtasche auf die
Schreibtischecke, setzte sich in den angebotenen Sessel und schlug die Beine
übereinander. Sie paßten zu dem übrigen Erscheinungsbild. Manchmal leistet die
Natur wirklich ausgezeichnete Arbeit. Aber auch Nylonstrümpfe sind eine
Erfindung, die nicht zu verachten ist.
„Telefone lügen“, sagte ich.
„Wie bitte?“
„Wir haben gestern miteinander
telefoniert, sagen Sie. Und Sie sagen auch, daß Sie Angela Charpentier heißen.
Nun, ich nenne Sie aber weiterhin ,die kleine Lügnerin’.“
„Ah, verstehe“, erwiderte sie lachend.
„Wegen Smith-Continental, nicht wahr? Offensichtlich haben Sie
herausgefunden, daß eine Versicherungsgesellschaft dieses Namens nicht
existiert. Ich entschuldige mich in aller Form, Monsieur. Aber diese Notlüge
war die einzige Möglichkeit, Zeit zu gewinnen.“
„Zeit zu gewinnen?“
„Ich werde es Ihnen erklären. Deswegen
bin ich übrigens gekommen. Warum bin ich wohl heute morgen um kurz nach acht in
Nizza ins Flugzeug gesprungen? Vor ein paar Stunden bin ich in Orly
gelandet...“
Ihr Tonfall war der eines
Party-Geplauders.
„Ich habe mich nur ein wenig
frischgemacht, und hier bin ich! Ich mußte unbedingt mit Ihnen reden, Monsieur.
Es geht um Madame Alderton. Ich möchte nicht, daß die liebenswerte alte Dame
wieder
Weitere Kostenlose Bücher