Bei Rotlicht Mord
wiederfinde?“
„Ach ja...“ Offensichtlich hatte sie
diesen Aspekt des Problems nicht bedacht. „Ja, natürlich... Aber sie würde sich
trotzdem darüber freuen, davon bin ich überzeugt!“
In diesem Augenblick kam Hélène
herein. Ich stellte die beiden jungen Frauen einander vor.
„…Mademoiselle Charpentier, unsere
kleine Lügnerin von gestern abend...“
Der wenig schmeichelhafte Titel ließ
die Betroffene laut loslachen und meine Sekretärin schmunzeln. Wir wechselten
ein paar belanglose Worte, dann verabschiedete sich die Gesellschaftsdame und
Adoptivtochter der Amerikanerin.
Nachdem sie gegangen war, erklärte ich
Hélène die Gründe für die „Notlüge“ und für den Besuch der jungen Frau. Wir
machten einige Bemerkungen darüber, und dann verbarrikadierte ich mich in
meinem Büro, um zu arbeiten.
Ich rief die Protection Reliance
Inc. an, um mich zu erkundigen, ob die Prämie immer noch ausgesetzt war.
Dann dachte ich an Dolguet. Wo, zum Teufel, konnte er die Klunker der
Amerikanerin versteckt haben? Um das herauszukriegen, mußte ich nicht unbedingt
in der Gegend herumlaufen und einen weiteren Niederschlag riskieren. Jedenfalls
nicht im Augenblick. Es reichte, daß ich in meinem Büro saß und mir das Gehirn
zermarterte. Ich zermarterte es bis achtzehn Uhr. Leider ohne Erfolg. Auf
seinen berufsbedingten Reisen hatte Dolguet Gelegenheit gehabt, den Schatz
entweder in einem Banksafe in der Provinz zu deponieren oder auf dem Grundstück
irgendeines Fernsehstars — oder auch am Fuße von Notre-Dame — zu vergraben.
Vielleicht mußte ich noch einmal auf das Wissen des hilfreichen Jacques Mortier
zurückgreifen und mir die Liste der Reisen des Fernsehtechnikers Dolguet von
Mai 1962 an besorgen. Mit etwas Glück konnte ich eventuell in zwei bis drei
Jahren damit rechnen, auf ein wichtiges Indiz zu stoßen...
In diesem Stadium der Verzweiflung
läutete das Telefon. Es war der Kfz-Mechaniker, dem ich meinen ramponierten
Wagen anvertraut hatte. Der Wagen sei repariert, teilte er mir mit, wenn ich
ihn abholen wolle...
Auf dem Weg zur Werkstatt kaufte ich
die neuste Ausgabe des Crépu. Man hatte endlich den Toten von Saclay
identifiziert. Er hieß Frédéric Jean (Jean war wirklich sein Familienname!) und
war tatsächlich vor kurzem aus dem Gefängnis Saint-Paul in Lyon ausgebrochen.
Er hatte mir also die Wahrheit gesagt.
Als ich wieder in meinem Wagen saß,
fühlte ich mich seltsam nutzlos. Eine Weile fuhr ich ohne ein bestimmtes Ziel
durch die Straßen, einfach so. Und einfach so bog ich plötzlich in die Rue de
l’Alboni ein.
* * *
„Ach, Sie sind’s!“ rief Angela
Charpentier halb erfreut, halb überrascht, als sie die Tür öffnete.
Sie trug hochhackige Hausschuhe und
einen Morgenmantel, unter dem sich außer den Nylonstrümpfen nicht viel zu
befinden schien.
„Huh! Der böse Detektiv!“ fügte sie
lachend hinzu. „Treten Sie ein.“
Ich folgte ihr in den Salon, dessen
Möbel von Schonbezügen geschont wurden. Nur zwei, drei Möbelstücke waren
abgedeckt und in Betrieb genommen worden. Durch das hohe Fenster sah man auf
die Metrobrücke von Passy, die kaum ein paar Meter entfernt war. Ein Zug
donnerte gerade vorüber.
„Ich hoffe, Sie haben der Concierge
nicht Ihren dicken Revolver unter die Nase gehalten“, sagte Angela, nachdem der
Metrolärm sich verflüchtigt hatte.
Sie setzte sich und wies einladend auf
einen Sessel. Ich nahm Platz.
„Seien Sie unbesorgt“, antwortete ich.
„Ich hab sie nur gefragt, in welcher Etage Madame Alderton wohne und ob jemand
zu Hause sei. Sie hat geantwortet, in der zweiten, und es sei die junge Frau
da, die heute aus Cannes gekommen sei.“
„Was Sie davon überzeugt hat, daß ich
Ihnen keine falsche Adresse genannt habe. Klar, Sie mußten es mit eigenen Augen
sehen! Wirklich, Sie sind ein richtiger Detektiv, wie aus einem Kriminalroman.“
All das sagte sie in einem
scherzhaften Ton.
„Das meinten Sie also mit ,Huh, der
böse Detektiv’, nicht wahr? Sie meinen, ich wollte Ihre Angaben überprüfen?“
„Ist das denn nicht der Fall?“
„Ganz und gar nicht! Ich habe mir
vorgestellt, daß es Sie langweilt, so untätig herumzusitzen, und wollte Sie zum
Essen einladen. Danach könnten wir uns irgendeine Kino-, Theater- oder
Varietévorstellung ansehen. Oder fühlen Sie sich etwa nicht ein wenig einsam?“
„Doch, ein wenig schon... Tja, also...
Gut, ich nehme Ihre Einladung an. Wenn sie nicht ernst gemeint war, müssen
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