Bei Rotlicht Mord
gewünschten Informationen. Könnte mich
lang und breit über Roudier und Dolguet auslassen.“
Inzwischen konnte er mir wirklich
nichts Neues mehr über Dolguet berichten. Aber der Junge war zu nett und
hilfsbereit, um ihm das Gefühl zu geben, er habe sich für nichts und wieder
nichts ins Zeug gelegt.
„Na, dann schießen Sie mal los!“
ermunterte ich ihn.
Er kam meiner Aufforderung nach. Es
dauerte eine Viertelstunde. Wie erwartet, war ich hinterher kein bißchen schlauer
als vorher.
„Egal“, sagte Hélène, als Jacques
Mortier aufgelegt hatte. „Was gibt das für einen Sinn?“
„Was?“
„Na, das Verhalten der jungen Frau von
den Vier Pinien. Warum hat sie gelogen?“
„Was weiß ich?“
Hélène zeigte auf den Apparat.
„Werden Sie sie noch einmal anrufen?“
„Nein, warum?“ fragte ich
achselzuckend zurück. „Ein Telefon ist eine praktische Einrichtung, aber es
ersetzt kein ernsthaftes Gespräch unter vier Augen. Und in diesem Fall wäre das
angebracht! Aber lassen wir das für den Moment. Eines Tages wird sich das
Rätsel von selbst lösen... Inzwischen könnten wir eine Kleinigkeit essen gehen
Wir gingen eine Kleinigkeit essen, und
dann fuhr ich brav nach Hause.
Um elf Uhr klingelte das Telefon.
Hörte sich irgendwie bedrohlich an. Manchmal hat man solche Vorahnungen.
Normalerweise hat das nichts zu bedeuten. Normalerweise. Nicht immer. Ich hob
ab.
„Nestor Burma?“ fragte eine rauhe
Stimme, die die Telefonleitung fast explodieren ließ.
„Am Apparat.“
Ein deftiger Fluch drang an mein Ohr.
„Hören Sie mal“, protestierte ich,
„Sie sind aber nicht grade höflich, Freundchen!“ Doch plötzlich kapierte ich,
wen ich an der Strippe hatte. Ich mußte lachen. „Da staunst du, was? Ja, ich
bin kerngesund! Hier hast du den telefonischen Beweis: Es gibt mich noch! Du
hast dich in der Zielscheibe geirrt, du Schlauberger!“
„Was?“
„Ja-a-a! Das nächste Mal schieß bitte
weniger schnell. Guck dir den Kerl erst genau an, bevor du abdrückst! Mit dem,
den du neulich mit mir verwechselt hast, haben die Flics jetzt jede Menge
Ärger. Der Tote am See von Saclay! Aber vielleicht liest du ja gar keine
Zeitung...“
„Was?“ fragte er wieder.
„Ja, ja, ich hab den armen Kerl etwas
frische Luft schnappen lassen. Er fühlte sich in meinem Korridor so beengt.“
„Was?“
Daß ihm meine Enthüllungen die Sprache
verschlugen, leuchtete mir ein. Aber mußte er deswegen ständig „was?“ fragen?
Schweigend wartete ich darauf, daß er seinen Wortschatz erweiterte. In dieser
Richtung geschah jedoch nichts. Dafür hörte ich undeutliche Geräusche. Konnten
von Ratten stammen, die sich langsam durch die Leitung hindurchfraßen. Dann
klang es nach einer hitzig geführten Diskussion, von der ich jedoch leider kein
Wort verstand. Schließlich hörte ich ein knallendes Geräusch, sehr knallend,
sehr laut: einen lauten Knall, den nur Optimisten einem Gummiband oder einer
heftig zugeschlagenen Tür hätten zuschreiben können. Ich gehöre nicht zu
solchen Optimisten...
Eine Frühlingsfliege, die Schwalbe des
kleinen Mannes, stieß im Fluge gegen den Schirm meiner Nachttischlampe und
erfüllte das Zimmer mit ihrem wütenden Summen. Zur Abwechslung setzte sie sich
dann auf meine Hand. Meine Hand hielt immer noch den Hörer, der an mein Ohr
gepreßt war. Ich rührte mich nicht, atmete ganz flach.
„Verdammt nochmal!“ brüllte jemand am
anderen Ende.
Er hatte wohl gemerkt, daß die
Telefonverbindung noch nicht unterbrochen war. Jemand anders — oder derselbe —
hauchte ein verführerisches, erregtes „Hallo“ in den Apparat. Ich stellte mich
tot. Ich auch. Noch ein leises „Hallo“ aus reiner Höflichkeit, dann
wurde aufgelegt.
Ganz behutsam legte auch ich den Hörer
auf die Gabel.
Angela Charpentier
Sie hatte am Dienstag gegen 15 Uhr
ihren Auftritt: Angela Charpentier, zweiundzwanzig Jahre jung, mittelgroß und
wohlproportioniert. Handtasche und Schuhe paßten zu dem gut sitzenden Kostüm
aus korallenroter Schantungseide. Ihr relativ langes kastanienbraunes Haar
umrahmte das hinreißende, braungebrannte Gesicht mit den hohen Wangenknochen
und dem sinnlichen Bella-Darvi-Mund. Ihre goldschimmernden Augen schienen für
ihr Alter schon eine Menge gesehen zu haben. Es war der einzige Schatten auf
dem glänzenden Bild.
* * *
Ich hatte einen arbeitsreichen
Vormittag hinter mir. Als ich erwacht war, hatte mein erster Gedanke Jacques
Mortier gegolten. Mir gelang
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