Bei Rotlicht Mord
Knebel.
„Was ist passiert?“ fragte ich Reboul.
„Zavatter hat ihn mir ans Herz gelegt,
als ich ihn gestern abend gegen sieben abgelöst habe. Ihm war der Kerl schon den
ganzen Nachmittag über aufgefallen. Interessierte sich eingehend für die Nr. 15
und strich in der Gegend herum. Irgendwann im Laufe des Abends ist er auf der
Rückseite eingestiegen. Hat die Küchentür aufgebrochen. Oh, natürlich ganz
behutsam, so daß ich nichts gehört habe. Aber Mutter Pellerin muß was gehört
haben. Jedenfalls hat sie geschrien. Daraufhin bin ich nach unten gerannt und
hab mich auf den Einbrecher gestürzt. Hat ‘ne Weile gedauert, bis ich ihn
bewußtlos schlagen konnte. Ich hab ihn nach oben geschleppt, hier in dieses
Zimmer. Die Alte war aus den Latschen gekippt, und sie sollte ihn nicht
unbedingt zu Gesicht kriegen, wenn sie aufwachen würde. Dann hab ich Sie so
schnell wie möglich alarmiert. Hier, das hab ich bei ihm gefunden.“
Er gab mir einen zerfledderten
Wehrpaß, den ich durchblätterte und einsteckte. Der Paß war auf den Namen Roger
Bastou ausgestellt. Ich trat zu dem Geknebelten, richtete ihn auf und lehnte
ihn gegen das Bett. Dann befreite ich ihn von dem Knebel.
„So sieht man sich wieder, was, Roger?
Was hast du hier in dem Haus gesucht?“
Er warf mir einen giftigen Blick zu.
„Ich hatte Hunger und brauchte Geld.
Da hab ich in der Zeitung die Adresse der Alten gelesen. Hab mir gesagt: Sie
ist bestimmt alleine und wird keine Schwierigkeiten machen. Das ist alles.“
„Geben dir deine Kumpel nichts mehr zu
essen?“
„Die hab ich sausenlassen.“
„Ach ja? Na schön... Wegen dir hab ich
meinen Schlaf unterbrochen. Ich möchte so schnell wie möglich wieder zurück ins
Bett. Verplempern wir also keine Zeit mit Kinderkram und fahren wir brav zu den
Flics.“
„Meinen Sie vielleicht, davor hätte
ich Angst?“ lachte er. „Die werden mich schon nicht fressen. Versuchter
Diebstahl, das kostet nicht das Leben.“
„Nein, das nicht. Aber da gibt es noch
was anderes. Du wirst den Flics erklären müssen, wie du zusammen mit Dolguet
und Frédéric Jean den schönen Dubaille totgeschlagen und ins Meer geschmissen
hast, nachdem ihr ihm den Schmuck abgenommen hattet, den der wiederum Madame
Alderton geklaut hatte.“
„Scheiße! Das wissen Sie alles?“
„Aber ja, mein Freund.“
In diesem Moment stieß jemand hinter
mir einen dumpfen Schrei aus. Ich drehte mich um. Angela.
„Dubailles Mörder!“ rief sie
haßerfüllt.
„Was machen Sie denn hier? Ich dachte,
Sie wollten sich um Madame Pellerin kümmern.“
„Das habe ich auch“, antwortete sie
und wickelte sich wie eine beleidigte Prinzessin in den etwas zu großen
Nerzmantel, den sie sich bei unserem überstürzten Aufbruch in der Rue de
l’Alboni übergeworfen hatte. „Sie ist eingeschlafen. Ich wollte es Ihnen nur
mitteilen.“
Ihre Augen nahmen einen
durchdringenden, harten Ausdruck an, den ich bereits in bestimmten Situationen
bei ihr beobachtet hatte.
„Schön“, erwiderte ich. „Vielen Dank
für die Auskunft. Gehen Sie jetzt bitte wieder zu Ihrer Patientin.“
„Sie braucht mich nicht mehr.“
„Wollen Sie etwa hierbleiben?“
Ich sah ihr tief in die
haselnußbraunen, goldschimmernden Augen.
„Ja.“
Reboul knurrte mißbilligend. Ich
zeigte auf den Bösewicht Roger und fragte Angela:
„Erwarten Sie, daß ich ihn foltere?“
„Werden Sie’s tun?“
„Sie scheinen das zu hoffen.“
„Ich?“ Jetzt war sie wieder das
ungezogene Kind. „Ganz und gar nicht! Ich bin nur neugierig. Das ist alles so
neu für mich, so spannend!“
Achselzuckend drehte ich ihr den
Rücken zu und tat so, als wäre sie nicht mehr im Raum. Ich hörte, wie sie einen
Stuhl rückte und sich setzte.
„Ja, mein lieber Bastou, das alles
weiß ich“, knüpfte ich an mein Gespräch mit dem häßlichen Gangster an. „Aber
ich weiß nicht alles, und du sollst mein Wissen vervollständigen. Los, leg die
Karten auf den Tisch, und wir reden nicht mehr von den Flics. Was hältst du
davon?“
„Na schön“, knurrte er, nachdem er das
Für und Wider meines Vorschlags abgewogen hatte. „Sie könnten aber vielleicht
erst mal meine Fesseln ein wenig lockern. Mir kribbelt’s in allen Gliedern! So
kann ich nicht nachdenken.“
Ich kam seinem Wunsch nach und bot ihm
sogar eine Zigarette an, die ich aus Rebouls Päckchen nahm. Er rauchte gierig,
während wir schweigend warteten. Unter dem Fenster miaute eine Katze und von
der nahegelegenen
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