Bei Rotlicht Mord
Bahnlinie antwortete ihr das Pfeifen einer Lokomotive. Hinter
mir hörte ich Angela atmen.
„Bist du bald soweit?“ fragte ich
ungeduldig.
„Schon gut, ich fang ja schon an.
Schließlich seid ihr keine richtigen Flics. Seht eher aus wie zwei schräge
Vögel.“
Er fing an zu reden und bestätigte
nach und nach meine Theorie, die ich Hélène vier Tage zuvor dargelegt hatte.
Roger und Frédéric Jean waren von Dolguet angeheuert worden, um Dubaille zu
verprügeln. Sie hatten sich frühmorgens in der Nähe der Vier Pinien auf
die Lauer gelegt und auf den Gigolo gewartet, der die Gewohnheit hatte, ganz
früh alleine schwimmen zu gehen. Alles hatte sich so abgespielt, wie ich es
vermutet hatte. Die Idioten hatten zu hart zugeschlagen. Dann hatten sie den
Inhalt von Dubailles Badetasche entdeckt. Sie hatten die Leiche ins Meer
geworfen und den Schmuck an sich genommen. Dolguet hatte ihn in einer Kiste mit
Filmmaterial verstaut und war nach Paris zurückgefahren.
„Zusammen mit dir“, ergänzte ich.
„Klar! Ich wollte ihn doch nicht
alleine mit dem Schmuck abziehen lassen! Man kann nie wissen...“
„Nur Frédéric Jean ist in Cannes
geblieben?“
„Ja. Das war sicherer. Es sollte nicht
nach Flucht aussehen. Daß ich mit Dolguet abhauen mußte, reichte schon. Fredo
sollte später nachkommen.“
„Falls ihr ihn nicht sausenlassen
wolltet! Jedenfalls hat er versucht, euch nach Paris zu folgen. Aber es ist ihm
etwas dazwischengekommen... Dabei fällt mir ein: Das hätte doch auch dir
passieren können, oder? In Paris hast du ein paar Tage bei Dolguet gewohnt, und
dann bist du ganz plötzlich verschwunden. Könnte es sein, daß du auf einem
deiner Spaziergänge zufällig in eine Razzia geraten bist?“
„Ganz genau! Natürlich hab ich die
Klappe gehalten. Hätte den Flics doch nie im Leben erzählt, daß ich bei Dolguet
wohnte! Man hat mich wegen Landstreicherei verurteilt, und wegen ‘ner Lappalie
in Marseille. Ich bin für nichts und wieder nichts in den Knast gewandert...“
„...und letzten Dezember wieder
rausgekommen“, ergänzte ich. „Als erstes bist du in Dolguets Wohnung
marschiert, aber diesmal mit deinen Komplizen. Was sind das für Leute? Vor
allem der, der mich in diesem Haus auf dem Land mit einer Karnevalsmaske
empfangen hat. Ist das euer Boß?“
„Das ist Emmanuel Vivonnet. War früher
mal ‘n Unterweltsboß, soviel ich weiß. Zur Zeit hat er sich aus dem Geschäft so
gut wie zurückgezogen. Lebt als ehrbarer Kaufmann mit Gewerbesteuer und allem
drum und dran. Anscheinend ist er an ‘ner Menge Restaurants, Cabarets und
Nachtclubs und so beteiligt. Immer auf dem Boden der Legalität. Mit illegalen
Geschäften will er im Moment nichts zu tun haben... außer wenn es um ein paar
Milliönchen geht! Zum Beispiel um die Alderton-Juwelen. Dafür interessiert er
sich. Hatte davon gehört, aber nicht so recht daran geglaubt.“
„Aber als du ihm davon erzählt hast,
da hat er’s geglaubt?“ fragte ich ungläubig. „Merkwürdig! Hat er dich nicht
eher für einen gehalten, der ihm das Geld aus der Tasche ziehen wollte? Soll
alles schon vorgekommen sein, wird erzählt.“
„Er hat mir geglaubt, weil ich
unfreiwillig davon erzählt habe. Das war nämlich so: Im Knast bin ich krank
geworden. Man hat mich auf die Krankenstation gebracht. Der Krankenpfleger, der
für mich zuständig war, war der kleine Loulou. Sie kennen ihn.“ Er beschrieb
den Mann, der eine große Ähnlichkeit mit meinem Steuerbeamten aufwies. „Wir
haben uns angefreundet. Ich bin dann wieder gesund geworden, und Loulou hatte
seine Strafe abgesessen und ist entlassen worden. Letzten Dezember bin ich auch
rausgekommen. Draußen wartete eine Überraschung auf mich: Loulou stand vor dem
Gefängnistor. ,Komm mit, ich stell dich jemandem vor“, hat er zu mir gesagt.
Und dieser Jemand war Vivonnet. Wissen Sie, was passiert war? Als ich auf der
Krankenstation lag, hatte ich im Fieber phantasiert oder im Traum gesprochen,
und Loulou...“
„Du hast im Traum von den
Alderton-Juwelen gesprochen?“
„Von den Juwelen, von Dolguet, von
Dubaille, von dem ganzen Kram! Loulou hat sich gedacht, daß da vielleicht was
Wahres dran sein könnte, und hat Vivonnet davon erzählt.“
„Und der hat dich dann am Gefängnistor
abholen lassen?“
„Genauso war’s. Ich mußte ihm alles
erzählen, und dann sind wir alle zusammen zu Dolguet gegangen. Obwohl Vivonnet
sich halbtot lachen wollte, daß so ein Typ wie Dolguet, einer vom
Weitere Kostenlose Bücher