Beichte eines Verfuehrers
Details hinzufügte, die er mir nicht lieferte, weil er sie ebenso wenig wissen konnte wie ich. Bei unseren Treffen ging es genau um das – erfüllte Fantasien. Und selbst wenn Joe mir gegenüber log, was die Frauen betraf, mit denen er schlief, war ich mir nicht sicher, ob ich das überhaupt wissen wollte.
Ich wusste vieles über Joe. Er mochte es nicht, sein Essen mit jemandem zu teilen und ebenso ungern küsste er die Frauen auf den Mund. Seine Jungfräulichkeit hatte er mit der besten Freundin seiner Mutter verloren. Er besaß einen exquisiten Geschmack, und ich wusste, welche Schule er besucht hatte. Wir schützten uns voreinander, indem wir von der Vergangenheit erzählten. Denn die Gegenwart war uns beiden zu gefährlich.
Also wusste ich alles und nichts über ihn.
„Aber jetzt macht es dir was aus?“
Ich sah ihn an. Konzentriert starrte er auf seine Hände. Die Ärmel seines Hemdes, das heute dunkelrosa war, blitzten unter der Anzugjacke hervor.
„Ja.“
„Und warum?“
„Ach na ja … Auch Eiscreme schmeckt irgendwann nicht mehr, wenn du nichts anderes mehr isst.“
„Ach Joe …“ Ein paar Stunden im Monat machte es Joe für mich einfach, eine Frau zu sein, die lachte. „Erzähl mir nicht, dass du auf deine alten Tage diskriminierend wirst.“
Joe hob das Gesicht den Sonnenstrahlen entgegen. Während er hinaufblickte, hatte ich Gelegenheit, seine Gesichtszüge zu studieren. Er war in der Zwischenzeit beim Friseur gewesen und die Haare waren raspelkurz. Seine Ohren ragten aus den gold schimmernden Haaren hervor, die an manchen Stellen von silbrigen Härchen durchsetzt waren. Sein Nacken wirkte nackt und verletzlich.
„Denkst du, ich bin alt?“, fragte er mich.
„Oh, wenn du alt bist, dann bin ich wohl antik.“
Er blinzelte mich von der Seite an. Ein Auge hatte er gegen die blendende Sonne zugekniffen. „Ja genau, du bist schon eine richtige Großmutter.“
Nun wusste ich auch, wie alt er war. Ein weiteres Puzzlestück, über das ich grübeln konnte. Ich hätte mir gewünscht, dass Joe älter oder jünger war, aber wir waren tatsächlich genau gleich alt.
„Wann hast du Geburtstag?“, fragte er plötzlich.
Zunächst wollte ich es ihm nicht sagen. Es berührte unsere unausgesprochene Abmachung, nicht über die Gegenwart zu reden. Aber der Geburtstag war doch nicht so wichtig, oder? Schließlich war ich in der Vergangenheit geboren, und über die Vergangenheit hatten wir schon immer geredet.
„Am neunzehnten April. Ich werde auch fünfunddreißig.“
Joe schnaubte. „Dann bist du ja sogar älter als ich.“
Ich musste lachen. „Oh, vielen Dank.“
„Ich habe am vierundzwanzigsten April Geburtstag.“
Wir verstummten. Hitze stieg in meine Wangen und ich spürte sie an meinem Hals ebenso wie in den Fingern. Um meine Hände irgendwie zu beschäftigen, zerknüllte ich den Müll.
„Also“, sagte ich schließlich langsam. „Was denkst du, was das bedeutet?“
„Es bedeutet“, sagte Joe und lehnte sich zu mir herüber, „dass du nicht jung bist.“
Das Klappern von Schuhen auf dem Schieferboden ließ uns zusammenfahren. Ein Paar kam um die Ecke und beachtete uns überhaupt nicht. Sie lachten und gingen einfach weiter. Aber der Moment war vorbei.
Joe stand auf und warf seinen Abfall in den Mülleimer. Er streckte die Hand nach meinem Müll aus und ich gab ihm das zerknüllte Papier. Er warf es ebenfalls weg und ich beschäftigte mich plötzlich mit meiner Handtasche, als würde ich darin etwas suchen.
Ich hörte wieder Lachen, und als ich aufblickte, war er schon fort.
6. KAPITEL
Die meisten Leute, die ich kannte, sehnten das Wochenende herbei und fürchteten sich vor dem Montag, wenn sie wieder zur Arbeit gehen mussten. Bei mir war es genau umgekehrt. Meine Wochenenden waren anstrengender als alles, was unter der Woche auf mich zukam. An den Tagen, an denen die Leute sich freuten, weil sie ausschlafen konnten, wachte ich übernächtigt auf, weil ich nachts alle zwei Stunden aufstehen musste, um nach Adam zu sehen. Ich konnte nirgends hingehen und keine Verabredung treffen, ohne mich vorher darum zu kümmern, dass jemand für Adam da war. Und wie Eltern, die einen Babysitter bestellten, um einen Abend im Kino oder im Restaurant zu verbringen, hatte ich das Gefühl, dass der Aufwand sich nicht lohnte. Also blieb ich lieber zu Hause. Es lag nicht nur an der Organisation, sondern auch an den Kosten. Mit unseren beiden Gehältern und der Entschädigung, die uns die
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