Beifang
Herr Vertreter der Nebenklage hat vorhin dankenswerterweise die Obduktionsergebnisse erwähnt, die den Ermittlungen ja offenbar eine entscheidende Wende gegeben
haben«, sagte er schließlich in einem fast gleichgültigen Ton. »Eine entscheidende Wende, ja doch.« Er hatte eine Lesebrille aufgesetzt und blickte über deren Ränder hinweg zu Rechtsanwalt Kugelmann und dem kleinen, weißhaarigen Herrn, der neben Kugelmann saß: dem Nebenkläger, dem Vater der toten Fiona Morny. Eisholms Blick war weniger warnend als vielmehr prüfend, wie er seine nächsten Fragen zu dosieren habe. Schließlich wandte er sich wieder an Kuttler. »Den Mann, dem Sie die Sperma-Spuren an und in der Leiche zuordnen - haben Sie den inzwischen ermittelt?«
»Nein.«
»Nein?«
Kuttler warf einen Hilfe suchenden Blick zum Vorsitzenden Richter. »Zum Ergebnis der Obduktion bitte ich doch, den Gerichtsmediziner Dr. Kovacz zu befragen. Ich kann nur wiedergeben, was mir selbst dazu gesagt wurde: dass diese Anhaftungen nicht vom Ehemann stammen.«
»Deuten die Spuren auf eine Vergewaltigung hin?«
»Muss das denn sein!«, rief Kugelmann. »Das steht doch alles im Gutachten...«
»Es tut mir leid, Herr Vertreter der Nebenklage«, schaltete sich der Vorsitzende Richter ein, »aber wir können über diesen Punkt nicht hinweggehen.«
»Ich möchte noch einmal bitten, dazu Herrn Dr. Kovacz zu befragen«, sagte Kuttler. »Ich kann nur das sagen, was wir von ihm gehört haben. Und das habe ich so verstanden, dass Hinweise auf eine Vergewaltigung nicht gefunden worden seien.«
»Na schön«, meinte Eisholm. »Wir haben hier also eine tote Frau, von der wir wissen, dass sie vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr hatte, aber nicht mit ihrem Ehemann. Und jetzt sehen Sie mich bitte nicht so an, als wollten Sie sagen: Na und?«
Kuttler wollte protestieren, aber Eisholm hob gebieterisch die Hand. »Sie sind noch ein junger Mann, Herr Zeuge. Vielleicht glauben Sie, ein Geschlechtsakt sei etwas von der Art, als trinke man ein Glas Wasser oder gehe vor die Tür und rauche eine Zigarette. Das aber wäre ein Irrtum.« Er unterbrach seine Wanderung,
die ihn seit geraumer Zeit vor der Richterbank auf und ab führte, und blieb wieder vor Kuttler stehen. »Der Geschlechtsakt, Herr Zeuge, ist das einzige wirklich existenzielle Tun im menschlichen Leben, und eben deshalb ist es dem Töten so entsetzlich verwandt, wie es sonst keine zwei Dinge sind, die eigentlich ein Entgegengesetztes bewirken...«
»Herr Verteidiger!« Grollend hatte sich Veesendonks Stimme erhoben, und für einen Augenblick mochte man meinen, seine Haare hätten sich gesträubt, so dass man die Form des lang gestreckten schmalen Schädels sah. Aber das lag nur daran, dass das Licht der Deckenlampen durch das ein wenig schütter gewordene Haar des Vorsitzenden Richters fiel. »Wäre es Ihnen möglich, konkrete Fragen zu stellen? Für allgemeine Erörterungen ist der heutige Verhandlungstag bereits sehr fortgeschritten.«
»Wie Sie meinen.« Eisholm machte kehrt und setzte sich auf seinen Platz. »Ich habe dem Zeugen und damit auch dem Gericht nur vor Augen führen wollen, dass wir den Tod dieser bedauernswerten jungen Frau nicht aufklären können, wenn wir nicht wissen, mit wem sie in den Stunden zuvor wo zusammen war und welcher Art ihre Beziehung zu diesem Großen Unbekannten gewesen ist...« Er machte eine Pause und warf einen Blick auf die Zuhörer, der Blick blieb an dem mächtigen dicken Mann hängen, der nun schon seit Verhandlungsbeginn in der ersten Reihe saß - in der ersten Reihe sitzen musste, weil er seinen Bauch, den er gerne mit beiden Händen umfasst hielt, in den hinteren Reihen nicht hätte unterbringen können. Eisholm nickte.
»Aber das Hohe Gericht hat mich dazu angehalten«, fuhr er fort, »konkrete Fragen zu stellen. Also, Herr Zeuge: Haben Sie im Hause Morny irgendwelche Spuren entdeckt, deren DNA-Struktur mit dem gefundenen Sperma übereinstimmt?«
»Nein.«
»Der Geschlechtsakt hat also nicht dort stattgefunden?«
»Das schließen wir aus.«
»Ich verstehe Sie richtig, diese junge Frau...« - Eisholm hatte
sich zurückgelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt - »diese junge Frau fährt also einhundertachtzig Kilometer, um einen Mann zu treffen und mit ihm zu schlafen? Aber dann sagen Sie mir jetzt doch bitte, wie sie ihn gefunden und wie sie sich mit ihm verabredet hat.«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Kuttler kleinlaut. »Es gibt zwar ein privates
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