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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Anmut. Sie entzieht sich, sie gehört niemandem, schon gar nicht dem, den sie berührt.
    Die Haare? Ein wenig sehr kurz. Ein Signal an das eigene Geschlecht? So kurz nun auch wieder nicht. Der Gesichtsausdruck? Nun ja, wie eine Frau eben in den Spiegel sieht: prüfend und aufmerksam, nicht so verklemmt, wie Männer das tun. Nur prüfend? Eher wachsam: also auf der Hut? Vor wem? Dem Alter? Den Falten? Dem Morgen danach?
    Der Mann zog eine Grimasse. Plötzlich war er sich nicht sicher, was diese Fotografie wirklich zeigte. Wen betrachtete die junge Frau? Sich selbst, das Make-up überprüfend, oder beobachtete sie jemanden im Spiegel, verhohlen? Unversehens entschwand
auch die Illusion von Anmut, die ihn so angesprochen hatte. Eine hübsche, eine aparte junge Frau, ja doch. Aber um den Mund war ein Zug, der - wenn man genau hinsah, sehr genau - ein Unbehagen andeutete, vielleicht auch Enttäuschungen oder sogar Bitterkeit...
    Wie alt war sie? 27 Jahre? Die Bitterkeit ist ein wenig früh gekommen, dachte der Mann und wollte weiterblättern, aber dann warf er doch noch einen Blick auf die Goldkette und ihren Anhänger, einen breiten Ring, um den sich ein Relief zu ziehen schien. Eine Antiquität? Aber wer hatte solche Ringe gefertigt, und zu welchem Zweck? Irgendwo hatte er gelesen, die Kelten hätten ihren Toten deren Schmuck mit ins Grab gegeben, weil dieser Teil ihrer Identität gewesen sei... Er blätterte um, zu der handschriftlichen Notiz auf der Rückseite der Fotografie: »Kongresszentrum, Silvesterball II. Korps«, dazu die Jahreszahl.
    Der Mann, die Mappe in der Hand, lehnte sich zurück und versuchte nachzudenken. Ein Tanz ins neue Jahr also. Aber von diesem neuen Jahr hatte die junge Frau nicht mehr viel gehabt, gerade fünf Monate und elf Tage, um genau zu sein. Denn in der Nacht auf Freitag, den elften Mai, irgendwann kurz vor oder nach Mitternacht, hatte man sie totgeschlagen.
    Wo? Ein Zeuge hatte am Donnerstagabend Licht im Haus der Mornys gesehen. Vermutlich also dort.
    Und dann? Dann war die Leiche in ein Kleingartengelände gebracht und dort in einer verlassenen, von verwildertem Busch- und Strauchwerk überwucherten Parzelle abgelegt worden, fürsorglich beschattet von Holunder und Haselnuss, Brombeerranken unter den zerkratzten Beinen, das schwarze Cocktailkleidchen hochgeschoben. Dort hätte sie eine Weile liegen bleiben können, den Maienhimmel im blicklosen Auge und Marienkäfer im blonden Haar.
    Doch der verwilderte Garten gehörte zu den Jagdgründen einer Gang aufgeweckter Zwölfjähriger, und die riefen am Samstag, dem zwölften Mai, die Polizei.
    Wie hatte man die Leiche dorthin gebracht? Mit dem französischen Kleinwagen, der auf Fiona Morny zugelassen war und
an dessen Reifen sich Erd- und Lehmanhaftungen in exakt der mineralogischen Zusammensetzung fanden, wie sie in eben jenem Kleingartengelände vorkommt und vermutlich nur dort. Experten hatten das herausgefunden, ein geologischer Fingerabdruck also, Eisholm würde niemanden finden, der das widerlegte.
    Was kennzeichnete den Fundort sonst? Der Mann kannte die Stadt gut genug, um sich selbst ein Bild zu machen. Die Gärten lagen gut vier Kilometer vom Haus der Mornys entfernt an einem Hang, auf der anderen Seite des Tals der Blau, unterhalb der Ulmer Wilhelmsburg und damit unterhalb des Militärgeländes, das Kommando und Stab des Zweiten Korps beherbergte. Und über den Weg oberhalb des verwilderten Gartens schnaufte und trabte morgens das zum Frühsport angetretene Militärpersonal, darunter vermutlich auch Hauptmann Ekkehard Morny, Nahkampf-Experte und gewesener Ehemann.
    Noch immer hatte der Mann die Mappe mit den Fotografien und den Kopien der Gutachten und Vernehmungsprotokolle in der Hand. Er schlug die Mappe auf und blätterte sie durch, bis er die Fotografie vom Fundort der Leiche fand. Bei Gott, dachte er, das ist zu blöd. Wenn man es sich aussuchen kann, legt man eine Leiche so ab, dass selbst Polizisten an jeden, nur nicht an einen selbst denken. Also?
    Eine Stimme mit sächsischem Anklang drang an sein Ohr. »Ihre Fahrgarte, bitte.«
    Neben ihm stand eine junge dickliche Frau in einem blauen Kostüm und tat so, als habe sie das Foto der vom Gebüsch beschatteten, von Sträuchern umstandenen jungen Toten nicht gesehen. Der Mann seufzte, legte die Mappe zur Seite und holte sein Ticket aus der Innentasche seines Sakkos.
     
     
     
    Eisholm hatte sich wieder auf seinen Platz gesetzt und blätterte in seinem Aktenordner. »Der

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