Beifang
Als der Hof schon übergeben war. Aber geschickte Hände hat er schon immer gehabt …« Er bremste ab, weil vor ihnen ein rotbuschiger Kater die Dorfstraße überquerte. »So einen Kater, den hätt er auf zwanzig Meter mit dem Stein getroffen …« Erschrocken hielt er inne. »Das hätt ich jetzt nicht sollen sagen.«
Verjährt, dachte Berndorf. »Als die Geschichte mit der jüdischen Frau passiert ist, da waren Sie ja noch nicht auf der Welt oder viel zu klein. Woher wussten Sie Bescheid? Hat man in der Familie darüber gesprochen?«
Walleter schüttelte den Kopf. »Darüber spricht man nicht. Nicht in der Familie.«
Er fuhr auf der Hauptstraße zurück, an der Kirche vorbei, und hielt kurz vor dem Ortsende vor einem kleinen, hellgrün gestrichenen Haus mit roten Fensterläden und vielen Blumenkästen, die aber noch leer waren.
»Im Dorf hat man darüber geredet«, fuhr er fort, als er den Motor abgestellt hatte. »Hinter unserem Rücken, wie die Leute halt so sind. Und erst hat es geheißen, der Niko hätt ihr das Auge eingeschlagen, und dann, dass sie daran gestorben wär …«
»Merkwürdig«, sagte Berndorf und sah zu Walleter hinüber. »Nach dem Krieg hat man eigentlich nirgends darüber geredet, was vorher so alles war.«
»Der Vater war schuld«, erklärte Walleter. »Er war ein genauer Mann. Und wenn er wo einen Streit gefunden hat, dann hat er ihn in die Hand genommen. Wie ich es weiß, ging es um die Jagdpacht. Die sei zu niedrig, hat mein Vater gesagt, und der Vorsteher der Jagdgenossenschaft dem Jäger ein zu lieber Freund... Da ist dann plötzlich das heimliche Reden und Tuscheln über den Niko aufgekommen …« Er hob ein wenig die Stimme. »Ein Dieb ist ein schändlich Ding, aber viel schändlicher ist ein Verleumder.«
Sie stiegen aus, Walleter klingelte an der Tür, eine grauhaarige Frau mit roten drallen Backen im runzeligen Gesicht öffnete ihnen …
»Das ist aber lieb von dir, Wendel, dass du dich mal wieder sehen lässt, gut siehst du aus, Hunger musst du - scheint’s - keinen leiden!« Sie ließ sich Berndorf vorstellen, zeigte aber keinerlei Verwunderung über den mitgebrachten Gast aus der Stadt und fragte auch nicht nach dem Anlass für den Besuch, sondern führte die Besucher in die Küche, an einen Tisch mit einer rotweiß karierten Decke, Berndorf wurde auf die Eckbank genötigt, Walleter bekam einen Stuhl, man hätte für ihn sonst den Tisch weit von der Eckbank wegrücken müssen.
Inzwischen war es Nachmittag geworden, und so wollte sie einen Kaffee aufsetzen und begann, in ihrer Küche hin und her
zu huschen, mit schnellen trippelnden, planlosen Schritten, dass Walleter erklärte, der Gast aus der Stadt habe nicht viel Zeit. Aber dann fand sie, dass die Besucher doch wenigstens einen Likör trinken mussten, und begann wieder zu huschen und zu suchen, schließlich fand sie winzige Likörgläschen und eine Karaffe mit einem dunklen Gebräu darin - sie hätte es aus den Beeren aus ihrem Garten angesetzt, sagte sie, und bisher hätten es alle gelobt. Berndorf nahm einen behutsamen Schluck und dachte, etwas weniger Zucker wäre mehr gewesen. Doch er nickte anerkennend, etwas ganz Feines sei das! Aber was er fragen wolle: Ob sich die Gastgeberin an Marianne Gaspard erinnere?
»Ach, die Marianne!«, rief sie und ihre Stimme geriet ein wenig ins Zittern und auch ins Jungmädchenhafte, »warum fragen Sie nach ihr? Das war so eine feine Frau, müssen Sie wissen, und hat einen nie im Stich gelassen … Aber jetzt ist sie ja auch schon ein paar Jahre tot.« Sie fuhr sich über das Auge.
Berndorf bat darum, dass sie etwas mehr erzählen solle. »Wann war das, als die Marianne Sie nicht im Stich gelassen hat?«
Hannelore Gretinger begann zu erzählen. Sie war 1941 - »oder war das jetzt 1940? Der Krieg hat schon angefangen gehabt« - von den Zementwerken als kaufmännischer Lehrling eingestellt und einige Monate später in die Personalverwaltung versetzt worden. »Die Marianne hat dort den Oberbuchhalter vertreten, wenn der krank war, und nicht nur das, sie hat den ganzen Laden in Schuss gehalten, dabei waren das keine leichten Zeiten, das dürfen Sie mir glauben! Aber die Marianne hat nie etwas auf mich kommen lassen, und einmal, als ich vergessen hab, dass man den Fremdarbeitern neue Essensrationen zuteilen muss … ach, das glauben Sie ja nicht, was das für ein Geschrei und Gezeter war! Den Schaden hätt ich zahlen sollen, hat der Oberbuchhalter geschrien, in einem fort, dabei
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