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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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dieser sei und warum er diesen Besucher mitgebracht habe - und fragte nach den Kindern, und die junge Frau sagte, dass die Große jetzt doch auf die Fachhochschule gehe, nur der Kleine plage sich halt arg, und Walleter meinte, da sehe man es, dass die Mädchen doch den besseren Kopf zum Lernen hätten. Dann wandte er sich nach links und führte Berndorf durch die leere und offenbar nicht mehr genutzte Scheune, in der aber noch immer der Geruch nach Heu und Getreidestaub hing. Von weiter hinten drangen Hammerschläge zu ihnen und klangen näher, als sie durch einen schmalen, mit Brettern verschalten Korridor gingen. Walleter stieß eine Tür auf und trat in eine niedrige Werkstatt mit Fenstern, deren verstaubte Scheiben das Tageslicht filterten. Vor einer Werkbank stand ein magerer, gebeugter, aber noch immer großer Mann, der mit einem Stemmeisen und einem Hammer einem Baumklotz zu Leibe rückte und ihm ein Geister- oder Riesengesicht zu meißeln versuchte. Es roch nach Sägemehl und nach Farbe, zischelnd und knisternd leuchtete eine Neonröhre.
    »Tag, Niko«, sagte Walleter.
    Der große Mann setzte einen weiteren Schlag, dann legte er bedächtig Hammer und Stemmeisen auf die Werkbank und drehte sich um. Er trug eine Drahtbrille mit kleinen Gläsern, und sein Gesicht wirkte fast ausgezehrt. Dennoch glaubte Berndorf eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Brüdern zu erkennen. Lag es an den Augen? Bei beiden funkelte ein Widerschein darin, als sei ihnen die Welt nicht ganz geheuer.

    »Tag, Wendel«, antwortete Nikodemus Walleter. »Wie geht’s auch?« Dann richtete er seinen Blick auf Berndorf. Der stellte sich vor, sie begrüßten sich mit Handschlag, doch Walleters Händedruck fiel weich, fast schwammig aus - merkwürdig, fand Berndorf, bei einem so knochigen und zugleich fast besessen wirkenden Mann.
    »Das ist der Herr Berndorf«, sagte Wendel Walleter. »War einmal der Chef der Mordkommission, drunten in Ulm.«
    »Es ist mir eine Ehre«, meinte Niko Walleter. »Umgebracht hab ich aber noch keinen.«
    Berndorf ging nicht darauf ein. »Was gibt das?«, fragte er und deutete auf das hölzerne Riesengesicht. »Einen Schutzgeist?«
    »Namen!«, sagte Niko Walleter verächtlich, »Gesichter sind, was sie sind.«
    »Wir haben hier einen Märchenwald«, erklärte der jüngere Bruder, »mit allerhand Kobolden und Hexen, und die hat alle er geschnitzt.«
    »Gesichter sind, was sie sind«, wiederholte Berndorf. »Aber woher wissen Sie, wem welches Gesicht gehört?«
    Niko Walleter hob die Hand und drehte sie ein wenig hin und her. »Das wächst aus dem Baum. Oder dem Wurzelstock. Ich muss nur helfen, dass es herausfindet.« Er ließ die Hand wieder sinken und sah Berndorf mit einem halb spöttischen, halb misstrauischen Blick an. »Wegen meiner Holzköpf werden Sie aber nicht hier heraufgekommen sein.«
    »Nein«, bestätigte Berndorf. »Nicht deshalb. Sie sind in Herrlingen zur Schule gegangen?«
    »Bin ich«, antwortete Niko Walleter. »Und zu Fuß. Gehen tut man zu Fuß. Vier Kilometer hin, vier Kilometer her. An ein Fahrrad …« - er schüttelte den Kopf - »... war nicht zu denken. Bei mir nicht.« Mit dem Kopf deutete er auf seinen Bruder. »Der Kleine, der hat dann eins gekriegt.«
    »Kannten Sie das Ehepaar Gaspard?«
    »Gaspard?«
    »Der Mann war beim Finanzamt«, half sein Bruder nach. »Hat nur ein Bein gehabt.«

    »Ach, der!« Er hob den Kopf, wie zu Bestätigung. »Dann weiß ich schon, wer das war. Aber gekannt hab ich ihn nicht.«
    »Und Marianne Gaspard?«
    »Marianne?« Er zog die Augenbrauen zusammen. »Eine Marianne hat unten im Zementwerk geschafft und war oft bei den Gretingers drüben, weil, von denen war die Hannelore Lehrling dort. Und wie der Krieg aus war, hat sie gedolmetscht... Gaspard hat die geheißen? Und war mit dem Einbeinigen verheiratet?« Er blickte vor sich hin, als überlege er, ob er denn dieser Marianne nicht auch noch einen Wurzelstock schuldig sei. »Aber wie die Amerikaner das Vieh requiriert haben, hat sie nur den Gretingers geholfen. Uns nicht.«
    »Erinnern Sie sich an das jüdische Altersheim?«
    Niko Walleter warf einen raschen ärgerlichen Blick zu seinem Bruder. »Worauf soll das jetzt hinaus?«
    »Erzähl es ihm«, sagte sein Bruder.
    »Was denn? Von diesem Altersheim weiß ich nichts!«
    »Erzähl es ihm.«
    Niko Walleter sah um sich, als suche er einen Fluchtweg aus der eigenen Werkstatt oder vielleicht auch nur einen Prügel. Dann merkte er, dass sein Bruder und

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