Beifang
an die Vorstandssitzung.
Anlass der heftigen Rüge ist der Fall des südbadischen Landrats Kröttle, dessen sehr private Beziehung zu einem Mordopfer vor den Justizbehörden lange Zeit verborgen gehalten wurde. Der Fall wird derzeit vor dem Landgericht Ulm verhandelt; Kröttle wird dort als Zeuge aussagen, hat aber seine Parteiämter zurückgegeben und lässt seine Dienstgeschäfte krankheitshalber ruhen.
Die Stellungnahme des Landesvorstands wird von politischen Beobachtern als eine Niederlage des Innenministers in dem schon länger schwelenden Machtkampf zwischen ihm und dem Ministerpräsidenten gewertet. Hinter vorgehaltener Hand wird Schlauff angelastet, er habe den als treuen Anhänger des Ministerpräsidenten angesehenen Kröttle bewusst in eine Falle laufen lassen …
»Was lesen Sie da?«, fragte eine aufgeräumte Stimme neben Berndorf. »Die neueste Intrige am Stuttgarter Hof? Es muss Ihnen beim Warten sehr langweilig geworden sein...« Veesendonk schloss die Tür zu seinem Büro auf. »Treten Sie ein, ich habe für Sie ein paar Akten kopieren lassen, nehmen Sie das Zeug nur mit! So kann ich gleich damit beginnen, meinen Schreibtisch zu räumen...«
Berndorf blickte fragend.
»Ha!«, machte Veesendonk, während er sich setzte, und deutete mit dem Finger auf Berndorf. »Ich sehe es Ihnen an der Nasenspitze an, was Sie jetzt denken!«
»Ja?«
»Sie denken, ich müsste mein Domizil über die Straße verlagern, in die Untersuchungshaft! Dorthin wollten Sie mich doch bringen, in aller Freundschaft, geben Sie es nur zu!« Er lächelte. »Habe ich jetzt eigentlich Ihrer Ansicht nach Eisholm umgebracht oder die unglückliche Fiona? Vielleicht gar alle beide?«
Berndorf ging nicht darauf ein. »Sie haben mir Akten kopiert?«
»Ja«, antwortete Veesendonk, »hier.« Er schob einige Blätter über den Tisch, Kopien verblasster Schreiben, auf der Maschine getippt, einige mit dem Hakenkreuz gestempelt. »Die Schreiben beziehen sich auf den Steinwurf, von dem Sie mir erzählt haben. Ereignet hat er sich im Juli 1942, eine gewisse Sarah Franziska Kahn, fünfundsechzig Jahre alt, erlitt dabei Verletzungen am Auge, der Steinewerfer soll der Schüler Nikolaus Walter gewesen sein, weshalb die Gestapo Ulm den Herrlinger Rektor anwies, solche Vorfälle künftig zu unterbinden, da sie sonst von der feindlichen Propaganda ausgeschlachtet würden … Der Rektor schrieb zurück, es gebe einen solchen Schüler nicht, also habe es auch den Steinwurf nicht gegeben, Heil Hitler!« Er hob die Hände und breitete sie auseinander, als ob alles gesagt sei.
»Danke«, sagte Berndorf. »Sie sind sehr aufgeräumt.«
»Das muss ich auch sein. Das heißt, ich muss aufräumen.« Er setzte sich aufrecht hin und tat so, als ob er den Sitz seiner
Krawatte überprüfe. »Der Landgerichtspräsident hat mir soeben mitgeteilt, dass ich als Präsident ans Landgericht Tübingen berufen worden bin, was soll man da sagen? Jedenfalls nicht nein... Sie blicken fragend?«
Berndorf schüttelte den Kopf.
»Ich sehe schon«, fuhr Veesendonk fort, »Sie sind nicht ganz einverstanden. Aber die Hemmnisse, an die Sie zu denken scheinen, die gibt es nicht. Ich habe heute Morgen ein äußerst ausführliches Telefonat mit Herrn Kriminaldirektor Steinbronner gehabt, in dem sich dieser förmlich für eine Bemerkung entschuldigte, die ihm gestern in der Erregung über die Flucht des jungen Freundschuh entfahren war...«
»Und? Haben Sie die Entschuldigung angenommen?«
»Kein Problem, ein Teil des Fehlers lag bei mir, ich hätte früher erkennen müssen, dass es eine Verbindung von Fiona Morny zu mir gibt - ich muss die junge Frau einmal für das Rahmenprogramm des von unserem Landgericht organisierten Richtertags engagiert haben, vermutlich auf Vermittlung des Fremdenverkehrsamtes. Kann sein, dass ich damals mit der jungen Frau persönlich gesprochen habe, kann sein, dass sie wegen allfälliger Rückfragen meine Durchwahl auf ihrem Mobiltelefon gespeichert hat - das kann und mag alles so gewesen sein, sage ich, nur kann man leider nichts mehr nachprüfen, selbst wenn es einen Bedarf dafür gäbe: Dieses elektronische Telefonbuch ist versehentlich gelöscht worden.« Wieder lächelte er, ein wenig schief. »Übrigens erlaubte sich Ihr Kollege Steinbronner bei dieser Gelegenheit ein kleines Wortspiel … Wenn die Polizei einen Einbrecher schnappt und bei dem die Daten von vierhundert Steuersündern findet, dann ist das ein Beifang . In meinem Fall hat man
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