Beifang
Auch wenn der Tor auf der Straße geht, fehlt es ihm an Verstand, doch er hält jeden anderen für einen Toren.«
»Desarts verweist an Luginbühl?«, fragte Kuttler. »Also will er dieses Loch ganz schnell wieder zuschütten.«
»Welches Loch?«, wollte Berndorf wissen.
»Tun Sie nicht so«, antwortete Kuttler. »Das Loch, das Sie haben graben lassen, gestern Nacht. Aber bitte! Was aufgeräumt ist und zugeschüttet, stört nicht mehr.«
»Wovon reden Sie?«
»Von allem und nichts«, antwortete Kuttler. »Nach ein paar Tagen begräbt man die Toten, und wir begraben unsere Fälle.«
»Wen begrabt ihr?«, fragte Berndorf.
»Den Fall Eisholm, zum Beispiel. Wir müssen zwar noch mal den Lokführer vernehmen, ganz sachlich und ohne ihm etwas nahezulegen, aber dann wird herauskommen, dass es überhaupt keinen Hinweis auf ein Fremdverschulden gibt. Eisholm hat sich selbst vor den Zug gestoßen, Punkt.« Kuttler machte eine Pause. »Steinbronner weiß es.«
»Ah ja?«, machte Berndorf.
»Ja«, bestätigte Kuttler. »Wir sind doch alle Diener der Wahrheitsfindung, nicht wahr? Und was der Wahrheitsfindung nicht dient, das löschen wir, zack! Und der Schreibtisch ist wieder so leer und aufgeräumt wie die Dateien von Fiona Mornys Mobiltelefon …«
»Was sagen Sie da?«
Kuttler wollte es ihm erklären, aber der Vorhang an der Tür wurde zur Seite geschoben, mit zwei Krücken und einem bandagierten
Fuß humpelte Dr. Elaine Drautz ins Café, gefolgt von einem hünenhaften Mann in einem etwas improvisiert wirkenden Zivil.
»Aha!«, sagte Frenzel und stand auf und verbeugte sich. »Ich darf zur sensationellen Wende im Fall Morny gratulieren! Aufrichtigen Glückwunsch, aber wie fühlt man sich an diesem Morgen als freier Mann?«
»Keine Interviews!«, sagte Dr. Drautz, die Hand energisch und abweisend ausgestreckt.
»Aber Gnädigste«, protestierte Frenzel, »man wird doch fragen dürfen, das wollen die Leute doch wissen, wie es einem geht, der so lange unschuldig eingekerkert …«
»Kommen Sie mir nicht so schmierig«, fuhr ihn Morny an, »glauben Sie, ich hätte im Knast Ihre bescheuerten Artikel nicht zu Gesicht bekommen? Wenn Sie nicht aufpassen, schlage ich Ihnen eine in die Fresse, dass Ihnen Ihre Unschuld aus den Ohren herausläuft...«
»Hauptmann Morny!«, rief Elaine Drautz streng.
»Scheiß auf Hauptmann«, antwortete Morny, »das war einmal, das sag ich Ihnen! Dieser Staat hier …« - unvermittelt packte er Frenzel am Revers von dessen Jacke und zog ihn zu sich her - »dieser Staat, der einen sonst wohin schickt, damit man sich dort den Arsch aufreißt, und während man das tut und aushält und erträgt, machen sie einem zu Hause die Frau zur Hure und bumsen sie und lassen sie zum Schluss totschlagen - dieser gottverdammte Scheiß-Staat soll sich ab sofort einen anderen Dummen suchen …«
»Das ist nicht zur Veröffentlichung bestimmt«, bemerkte Elaine Drautz.
»Doch«, widersprach Morny. »Durchaus ist es das. Die Zeitung mit den großen Buchstaben soll es bringen. SCHEISS-STAAT. In großen fetten Buchstaben möcht ich das noch mal lesen, überall, an jedem Kiosk. Im ganzen Land. Aber jetzt will ich ein Bier und einen doppelten Kognak.«
Veesendonk war nicht in seinem Büro, und so stellte sich Berndorf an das gegenüberliegende Fenster des Korridors und holte aus seiner Mappe eine der Zeitungen, die er sich eigentlich als Lektüre für seinen Kaffee bei Tonio gekauft hatte. In diesem Februar hatte eine Bank nach der anderen eingestehen müssen, mit zweitklassigen US-Hypotheken Milliarden und Abermilliarden verspielt zu haben; die Vorstände und Aufsichtsräte wollten nichts gewusst und nichts verstanden haben und vor allem für nichts verantwortlich sein... Damit es keine Katastrophe gebe, würde der Steuerzahler einspringen müssen, das war ganz natürlich, denn dafür hatte man ja die freie Wirtschaft. Berndorf musste an den Hauptmann Morny denken und an dessen hilfloses Gestammel, er zuckte mit den Achseln und blätterte weiter, das Blatt aus der Landeshauptstadt Stuttgart berichtete exklusiv über einen Machtkampf in der Landesregierung...
…Unerwartet deutliche Kritik hat Innenminister Schlauff gestern in einer Sitzung des Landesvorstands der Staatspartei einstecken müssen. Es gehe nicht an, dass die Polizei auch nur den Anschein erwecke, sie schotte prominente Persönlichkeiten gegen staatsanwaltliche Ermittlungen ab, erklärte der Ministerpräsident und Landesvorsitzende im Anschluss
Weitere Kostenlose Bücher