Beifang
»Ja?«
»Unser Kunde war so weit«, berichtete Kuttler. »Er wollte auch, aber dann ist er kollabiert.«
»Kuttler!«, rief Berndorf so streng, dass Tonio, der ihm gerade einen doppelten Espresso bringen wollte, einen Augenblick erschrocken innehielt.
Kuttler hob beide Hände. »Ich bin absolut unschuldig. Wir haben ihn nicht einmal in die Nähe von einem Wasserhahn gebracht. Oder von einem Telefonbuch. Es war auch nicht nötig. Er hat alles erzählt oder jedenfalls seine Version.« Wieder blickte Kuttler zu Frenzel. »Ich erzähle jetzt eine Geschichte, die ich Ihnen natürlich nicht erzähle. Es ist die Geschichte von einem besorgten Vermieter, dem plötzlich abends einfällt, er sollte wieder einmal nach seinem Häuschen sehen. Dem Häuschen, das er an ein junges Paar vermietet hat. Der Ehemann ist nämlich auswärts, und da weiß der Vermieter nicht, ob die kleine Frau allein zurechtkommt, mit der Heizung und dem ganzen technischen Kram, kann man doch verstehen, dass er sich darum kümmert?«
Er trank einen Schluck von seinem Milchkaffee, wischte sich den Schaum vom Mund und fuhr fort. »Er fährt also zu dem Häuschen, aber die kleine Frau - die blond ist und sonst auch alles hat, was man sich wünscht -, die kleine Frau also ist gar nicht da, und der Vermieter sieht nach der Heizung und nach dem Garten, und es wird spät und später, dann ist die kleine Frau plötzlich doch da und ist wirklich sehr blond und hat ein kurzes Kleidchen an und kreischt, was tun Sie da? Und trägt auch noch diesen Schmuck, also da muss der Vermieter doch sehr schlucken, denn der Schmuck hat einmal seiner Mutter gehört …«
»Sie hat ihn gesiezt?«, fragte Berndorf.
»So behauptet er, aber das haben wir alles noch gar nicht abgeklopft.« Kuttler hob beide Hände und ließ sie wieder sinken. »Jedenfalls muss sie nach einer Weile mit dem Kreischen aufgehört haben, die beiden kommen ins Gespräch, der Vermieter sagt, dass er nach der Heizung geschaut hat, es sei doch schnell recht kühl im Haus, und die kleine blonde Frau meint,
wenn er es denn schnell mal hitzig haben wolle, koste es fünfhundert, das sei sozusagen ein Schnäppchenpreis, weil diesen Abend nämlich wer anders schon vorgeheizt habe, und zieht das Kleidchen kurz mal hoch...
Aber wie sie das sagt und tut, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, und er erkennt, wie schlecht die Welt doch ist, und kann es auf einmal auch nicht länger ertragen, keine Sekunde, dass dieses Mensch da den Schmuck seiner lieben Mutter um den Hals hängen hat, und er schlägt die kleine blonde Frau tot und bringt sie außer Haus und nimmt ihr die Halskette ab … Und als er ein paar Tage später nach dem Familiengrab sieht, wie er das immer wieder mal macht, steckt er der Mutter die Kette in die Urne, die Kette gehört doch ihr und niemandem sonst: so ein treuer Sohn ist das.«
»Wenn Sie mich fragen«, sagte Frenzel, »dann hat der Gute es ganz einfach nicht gebracht, und da wird sie ihn ausgelacht haben …«
»Wir fragen Sie aber nicht«, knurrte Berndorf und wandte sich wieder an Kuttler. »Wieso ist er kollabiert, und wann?«
»Das war, als ich ihm sagen musste«, antwortete Kuttler, »dass seine Geschichte nicht stimmt. Jedenfalls nicht so, wie er sie erzählt hat.«
»Und warum nicht?«
»Weil in der Urne, die er uns mitgebracht hat - in der hat sich keine Kette befunden und auch sonst kein Schmuck. Nur verdammte Asche.« Kuttler sah Berndorf an. »Und wie ich ihm das gesagt hab, da hat er mich aus großen Augen angestarrt und ist totenbleich geworden und vom Stuhl gerutscht. Und das um halb vier Uhr morgens.«
»Der Mund unzüchtiger Frauen ist eine tiefe Grube«, bemerkte Wendel Walleter, der unbemerkt hereingekommen war, »wem der Herr zürnt, der fällt hinein.«
»Vorhin hatte ich Sie vermisst«, bemerkte Berndorf, »das war voreilig. Wo kommen Sie überhaupt her?«
»Von Staatsanwalt Desarts«, antwortete Walleter, griff sich einen Stuhl und setzte sich zu ihnen an den Tisch. »Ich dachte,
wir reden ein wenig über Psalm zweiundachtzig, wo es heißt: ›Wie lange wollt ihr unrecht richten und die Gottlosen vorziehen? ‹, aber er hat dann doch keine Zeit gehabt und gemeint, ich sollte besser mit dem Dr. Luginbühl reden...«
Kuttler und Berndorf wechselten einen kurzen Blick, Luginbühl war Rechtsmediziner und arbeitete als psychiatrischer Gutachter.
»Und worüber werden Sie mit Luginbühl reden?«
Walleter überlegte. »Vielleicht über Prediger zehn …
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