Beifang
wenig zu konventionell ausgefallen sei... Und dann? Kurzer Austausch: Bleiben Sie noch länger hier? Zögernde Auskunft: Das kommt darauf an... et voilà!
Nur: Wenn es sich so abgespielt hätte, dann wäre Fiona kaum vor Mitternacht bereits wieder in Ulm gewesen, so zügig sie - oder wer immer - auch zur Sache gegangen sein mochte. Vor allem hätte sie keinen Grund gehabt, so früh zurückzufahren, denn ihren Ehemann hatte sie nicht zurückerwartet. Also?
Also war es der Liebhaber gewesen, der sie wieder ins Auto gesetzt hatte. Warum aber tut einer das, wenn doch eine ganze freie Nacht und womöglich ein ganzes freies Wochenende vor einem liegen? Ganz einfach: Jemand hatte angerufen, und schon war es aus mit dem freien Wochenende. Üblicherweise kommen solche Anrufe von den Ehefrauen, und eine solche musste im Spiel sein, sonst hätte sich der wankelmütige Held des abgebrochenen Abends ja wohl irgendwann bei der Polizei gemeldet. Über Fionas Ermordung war in den Medien ausführlich berichtet worden …
Berndorf hatte noch ein paar Seiten weitergeblättert, ohne recht hinzusehen, jetzt lag vor ihm die Ausgabe vom fünfzehnten Mai mit einem Hintergrundbericht über die Umstände, unter denen der Ministerpräsident genötigt worden war, sich für seinen vorerst jüngsten Ausrutscher zu entschuldigen. Das wollte Berndorf doch noch nachlesen, weil es etwas mit der Verfassung des Landes zu tun hatte, das schließlich auch das seine war:
... Sein von Anfang an untauglicher Versuch, vor dem Richtertag das Wirken der Justiz im Dritten Reich reinzuwaschen, hat dem Ministerpräsidenten zu allem sonstigen Verdruss auch noch Ärger mit der Bundeskanzlerin eingebracht. Diese, in der DDR aufgewachsen, weiß nur zu gut, welch furchtbare Juristen sich zuzeiten in eine Richterrobe hüllen durften. Am Freitagabend
jedenfalls hatte sich die Lage für den Ministerpräsidenten so zugespitzt, dass er sich in einer improvisierten telefonischen Schaltkonferenz der Rückendeckung durch den Landesvorstand der Staatspartei versichern musste …
Berndorf hob den Kopf und blickte - nichts und niemand sehend - in den von einzelnen Leselampen erhellten Saal. Dann schüttelte er den Kopf, blätterte zurück und begann, sich Notizen zu machen. Eine Viertelstunde später verließ er die Stadtbibliothek wieder.
Ein atlantisches Tief trieb immer neue Wolken von Westen her, dazu war es kalt, und die Passagiere, die auf dem überdachten Bahnsteig warteten, fröstelten in ihren Mänteln und Anoraks. Keiner von ihnen wollte angesprochen werden, und nur widerwillig betrachteten sie das Foto, das ihnen vorgehalten wurde und auf dem man in dem magersüchtigen Neonlicht des Bahnsteigs ohnehin kaum etwas erkennen konnte.
»Sie haben diesen Mann nicht gesehen, auch nicht in Begleitung?«, wiederholte Kuttler seine Frage. Zum wievielten Mal fragte er das schon?
»Was hat er denn ausgefressen?«, kam die Rückfrage, diesmal von einem Halbwüchsigen mit Kapuzenanorak. »Irgendwas mit Kindern?«
»Nein, dieser Mann hat nichts ausgefressen«, sagte Kuttler geduldig. »Trotzdem müssen wir wissen, ob er gestern hier im Bahnhof oder auf diesem Bahnsteig gesehen wurde.«
»Haben wir nicht.« Der Halbwüchsige schüttelte den Kopf und blickte, Einverständnis heischend, zu seiner Begleiterin, einer vermutlich Sechzehnjährigen, die unter einer Baskenmütze heraus Kuttler mit großen Augen betrachtete und die, wie auch anders, ebenfalls nichts gesehen hatte.
Kuttler fluchte wortlos. Wozu haben diese Geschöpfe ihre großen Augen! Nie sehen sie etwas damit... Aber bei diesem Wetter war sowieso klar, dass die meisten Fahrgäste erst kurz
vor der Abfahrt auf den Bahnsteig kommen würden. Er hatte sich mit dem kleinen Hummayer abgesprochen, dass dieser im Zug nach Friedrichshafen mitfahren und dort noch einmal die Runde drehen würde, er in dem nach Sigmaringen, und Salvermoser wollte den nach Ellwangen übernehmen.
Kuttler ging weiter. Im Schatten eines Pfeilers stand ein Mann, er ging auf ihn zu, zeigte seinen Ausweis und sagte sein Sprüchlein auf:
»Guten Abend, ich komme von der Kriminalpolizei und bitte Sie …«
»Schon gut«, antwortete Berndorf und lüftete seinen Hut, »ich habe Eisholm gestern Abend nicht mehr getroffen, falls es das ist, was Sie wissen wollen. Guten Abend auch!«
»Nöh«, antwortete Kuttler. »Ich hab das nicht wissen wollen, aber Dorpat, wenn es Sie beruhigt. Darf ich fragen, wohin …?«
»Nirgendwohin. Ich wollte
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