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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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in anderem Zusammenhang eine Ejaculatio praecox.«
    »Was sagen Sie da?«, fuhr ihn die Anwältin an. »Typisch Mann. Geschlechtsverkehr ist wie Autofahren, nicht wahr? Das Gaspedal so bedienen, wie Sie eine Frau bedienen, und die Frau so wie ein Gaspedal! Und bilden sich womöglich ein, dass sie dann auch noch röhrt wie dieses Auto...«
    »Ich sorge mich nur um Ihre Kupplung.«
    »Machen Sie mein Auto nicht schlecht. Wohin fahren wir überhaupt?«
    »Im Augenblick Richtung Innenstadt. Weiter vorne kommt eine Bushaltestelle, dort können Sie mich absetzen. Danach
fahren Sie einfach weiter, bis Sie zur Autobahn gewiesen werden«, antwortete Berndorf. »Falls Sie heute zurück nach München wollen...«
    »Das werde ich wohl zu wollen haben, weil ich mir sonst Ihr Pyjama-Oberteil leihen müsste. Sie werden bemerkt haben, dass ich darauf nicht scharf bin... Was haben Sie überhaupt als Nächstes vor?«
    »Falls dort noch offen ist, will ich in die Stadtbibliothek.«
    »In die Stadtbibliothek! Was für ein gnadenloser Schnüffler! Keine Gefahr scheuend, selbst den städtischen Bibliothekarinnen unerschrocken ins bebrillte Antlitz sehend...«
    »Wenn Sie da vorne halten würden«, antwortete Berndorf.
    Die Anwältin steuerte in eine Haltebucht und stoppte.
    »Wie geht es weiter?«
    »Wir haben drei Wochen Zeit«, antwortete Berndorf. »Das ist gar nichts, und es ist unendlich lange. Alles in einem.«
    Er nickte ihr zu und stemmte sich aus dem Wagen. Als er die Wagentür zuwarf, fuhr der Roadster auch schon an, schoss auf die Straße hinaus und war verschwunden.
     
    Es hatte wieder zu regnen begonnen, und Berndorf stellte sich in das Wartehäuschen. Der Fahrplan war nicht zu lesen, denn irgendjemand hatte ihn angezündet und verkokeln lassen. Graffitis teilten mit, dass Sonja eine fette Hure sei und dass die Welt anhalten solle, damit man aussteigen könne.
    Er holte seine Taschenuhr hervor und klappte sie auf, und während er das tat, wusste er bereits, dass sie schon wieder stehen geblieben war, oder genauer: dass sie noch immer nicht ging. So musste er sein Handy einschalten, aber für einen Anruf in die Staaten war es nicht die rechte Zeit - zu spät zum Frühstück, zu früh zum Lunch, dazwischen mochte Barbara nicht gestört werden. Was hätte er auch mitzuteilen gehabt? Dass er das Foto eines Goldrings gesehen hatte, mit einem Fries, der den Sündenfall zeigte? Oder würde die Mitteilung mehr Beifall finden, dass er der Anwältin Elaine Drautz kein Pyjama-Oberteil angeboten hatte?

    Ein Bus kam, Berndorf bezahlte beim Fahrer und setzte sich nach hinten. Der Fahrgastraum war überheizt, so dass er seinen Mantel aufknöpfte. Er lehnte sich zurück und fand es angenehm, dass der Bus nicht die kürzeste Strecke fuhr, sondern im Zickzack das Wohngebiet abgraste. Eilig hatte er es nicht, in diesem Fall - wenn es denn nur einer war und nicht zwei - hatten genug eilige Leute mitgewirkt oder vielleicht auch mitgepfuscht, denn in der Eile sind Fehler, und selbst der vor den Zug gefallene oder gestoßene Anwalt Eisholm hatte einen ausgesprochen eiligen Tod gehabt.
    Wieder hielt der Bus, Lärm brandete auf, Berndorf schrak aus seinem Halbschlaf hoch und sah, dass er am Hauptbahnhof angekommen war. Er stieg rasch aus und überquerte die Straße in Richtung Stadtmitte. Das Dösen hatte ihn eher noch müder gemacht, er brauchte frische Luft und musste ein paar Schritte gehen, um wieder wach zu werden. So durchquerte er die Fußgängerzone, bis er das Fischerviertel erreichte, und ging von dort über die alte Steinbrücke an der Blau weiter Richtung Schwörhaus. Die Stadt mutete ihn abweisend an, er war ihr fremd und gleichgültig geworden.
    Schließlich tauchte vor ihm eine mehrstöckige Glaspyramide auf, die neue Stadtbibliothek, Berndorf beschloss, sie für ein gelungenes Bauwerk zu halten. Er trat ein, fand im Untergeschoss eine Garderobe für seinen Mantel und erhielt in einem der oberen Stockwerke von einer jungen, keineswegs bebrillten Bibliothekarin nach einigem Warten einen Faszikel mit den Ausgaben der Stuttgarter Zeitung vom Mai vergangenen Jahres ausgehändigt.
    Berndorf zog sich an einen Lesetisch zurück. Es war still, obwohl er nicht allein war. Auch an den anderen Tischen arbeiteten oder lasen Leute, schweigend und in sich versunken, er erkannte einen der notorischen Leserbriefschreiber der Stadt und vermied den Augenkontakt. Er schlug den Faszikel auf, und während er das tat, spürte er, wie ihm die Zweifel durch

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