Beifang
Lichtschein sah und achtgeben musste, dass er nicht an die feuchten Mauerwände streifte. Vorbei an einer Kasematte, deren Eisentür nur mit einem Vorhängeschloss gesichert war, und an einer Torhüterstube kam er zu der Holzbrücke, die den Wallgraben überspannte und zu einem Wäldchen führte, das in ein Gartengelände überging. Hunde, die ein Gehege mit Damwild bewachten, schlugen an, als er näher kam und an ihrem Zaun vorbeiging.
Die Gärten, so schien es ihm, waren schon lange angelegt, und sie waren größer, als es Schrebergärten sonst sind. Einige davon waren verwildert, von Haselnuss und anderem schnellwüchsigem Gesträuch überwuchert. Eines der Gartenhäuschen war gemauert und tat so, als sei es ein richtiges Haus; vielleicht hatte sich hier nach dem Krieg jemand einquartiert, der in der
Stadt ausgebombt worden war. Selbst in dem diffusen Licht, das sich von Westen her noch über den Himmel zog, konnte man sehen, dass die Fensterscheiben zerbrochen waren und das Mauerwerk bröckelte.
Nach einer Wegkehrung und einer zweiten sah Kuttler unter sich die Lichter eines allein stehenden Gasthofes, es war ein Ausflugslokal mit griechischer Küche. Ein zweiter, asphaltierter Weg führte daran vorbei zu den höher gelegenen Gärten. In einem dieser Gärten war Fionas Leiche gefunden worden, und der Wagen, in dem man sie dorthin gebracht hatte, war wohl an diesem Lokal vorbeigefahren.
Warum hatte er nicht ebenfalls diesen Weg genommen, wie bei seiner ersten Fahrt zum Fundort der Leiche? Eben deshalb: Er suchte einen anderen Blickwinkel, er wollte sehen, wie jemand sah, der nicht Polizist war.
Lautlos, leichtfüßig kam aus der Dunkelheit ein schwarzer Schatten auf ihn zu, die Schnauze schnüffelnd erhoben. »Fuß!«, rief ein Mann, der dem Hund nachfolgte, und dieser drehte mehr gelangweilt als gehorsam ab. Der Mann trug einen alten Trenchcoat und eine Schiebermütze und wünschte »Guten Abend!«, als er an Kuttler vorbeikam, und dieser erwiderte den Gruß und blieb nun erst recht stehen, nur für den Fall, dass sein Herumstehen dem Mann im Trenchcoat irgendwie verdächtig erschienen sein mochte.
Stell dir vor, nahm Kuttler seinen noch gar nicht begonnenen Gedankengang wieder auf, jemand anderes wäre an jenem Abend im Mai hier gestanden und hätte nichts zu tun gehabt und hätte plötzlich ein Auto auf dem Weg gesehen … Nichts wäre jenem Unbekannten aufgefallen, ein spätes Liebespaar, wird er gedacht haben, und wäre weitergegangen, hundert, zweihundert Meter weiter, hätte sich vielleicht eine Zigarette angezündet oder sein Wasser abgeschlagen. Und weiter? Der Wagen von vorhin wäre ihm plötzlich entgegengekommen, vielleicht ein wenig schnell, und der Unbekannte hätte sich an ein Gartentor gedrückt und das kleine schnelle Auto an sich vorbeigelassen, in dem nur der Fahrer saß, und hätte sich … ja, was hätte er sich gedacht?
Kuttler ging weiter, das Ausflugslokal verschwand aus seinem Blickfeld, der Weg wurde enger, weiter vorne ahnte er einen Wendehammer, links erkannte er den rostigen Maschendrahtzaun und das Tor, das jetzt mit einem neuen Vorlegeschloss gesichert war. Er schaltete seine Taschenlampe ein, der Lichtstrahl blieb in laublosem Gebüsch hängen. Seit die Spurensicherung hier gewesen war, hatte sich nichts mehr getan, nur die Haselbüsche und das Brombeergeranke hatte an Wachstum zugelegt. Die Stelle, an der Fiona gefunden worden war, konnte er von seinem Standort aus nicht einsehen. Zwischen Zaun und Tor war eine Lücke, er würde sich daran vorbeidrücken können, aber wozu sollte er sich Zutritt verschaffen? Hier war längst alles abgesucht. Warum also war er überhaupt hierhergekommen?
Die Nacht zum elften Mai war klar gewesen, es war kurz vor Vollmond, also war es auch hell.
Wie hell? So hell, dass ein neugieriger Nachtschwärmer hätte sehen können, wo sich auf dem Weg welche Reifenspuren eingedrückt hatten, und vor allem: wo sie aufgehört hatten? Mit der Taschenlampe suchte er den Weg ab, der hier nicht mehr asphaltiert, sondern nur gekiest war, mit viel Lehm dazwischen. Er sah, dass jemand mit einem Fahrrad vorbeigekommen war, er glaubte sogar zu erkennen, dass es ein Mountainbike gewesen sein musste: Das alles war zu sehen, und also waren in jener Mondnacht auch die Reifenspuren von Fionas Wagen zu erkennen und damit auch die Stelle, wo der Wagen gehalten hatte und später wieder weitergefahren worden war.
Genug, sagte er sich, schaltete die Taschenlampe aus und
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